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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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er
kaputtreparieren konnte. Das brennende Auto wurde zu einer Familienanekdote,
deren Pointe die feinsinnige Bemerkung meiner Mutter war, nicht etwa die
dürftigen Mechanikerkünste meines Vaters und schon gar nicht, daß wir um ein
Haar gegrillt worden wären. Unser Familienleben mag auf tönernen Füßen
gestanden haben, aber sie verstanden sich aufs Improvisieren — zumindest aus
ihrer Sicht.
    Sie zogen stets an einem Strang
und taten so, als sei alles in Ordnung, natürlich und normal. Eine Familie
also, wie sie damals zu sein hatte: Man baut sich etwas auf, und man fährt
hierhin und dorthin. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, daß diese
Hausfrau krankhafte Essensängste hat, Heim und Herd haßt, im Grunde ein Mädchen
geblieben ist, das von schönen Dingen und von Leckereien träumt; und dieser
Geschäftsmann wird nie auf einen grünen Zweig kommen, er ist ein kindlicher
Soldat geblieben, der wieder und wieder die Deckung verläßt. Sie hatten sich
mit all ihren Zwängen kennengelernt, hatten sich ineinander verliebt und
geheiratet, sie ergänzten und stützten einander. Auf den Fotos von ihrer kargen
Kriegshochzeit hat er sich einen Schnurrbart wachsen lassen, um alt genug fürs
Befehlen auszusehen, und sie lächelt wie ein Filmstar. Es ist entwaffnend, wie
unsicher und hoffnungsvoll die beiden wirken, wenn man sie als Paar betrachtet.
Aber das tat ich damals natürlich nicht. Sie ließen mir keinen Platz. Familienleben, das waren das offene Wohnzimmer und das Auto, dieser Alptraum
eines Gemeindewohnhauses auf Rädern.
    Doch Grandma strafte die
Vorstellung Lügen, daß Ehen im Himmel geschlossen werden, ebenso Bill mit
seinen Exotischen Bräuchen, und die Freundin meiner Mutter von vor dem
Krieg, die geschiedene Ivy, setzte noch eins drauf: Sie hatte einen Freund und
wollte wieder heiraten. Ivy trug mehr als irgend jemand dazu bei, mich von
meiner häuslichen Klaustrophobie zu befreien — aus ganz persönlichen Gründen,
denn ihre Tochter Gail mußte irgendwohin, damit Ivy zu Hause freie Bahn hatte.
Und so war meine alte Schulfeindin gemäß Absprache der Mütter bei einigen
unserer Samstagsausflüge dabei.
    Gail wurde in den Kreis der
Familie, zu dem sonst niemand Zutritt hatte, aufgenommen, weil sie nicht
schlecht von uns reden würde, und ihre Mutter würde die Haushaltskünste meiner
Mutter nicht kritisieren. Ich weiß noch, wie ich Gail einmal fast ehrfürchtig
ansah, als wir an einem feuchten Nachmittag in den Bergen von Llangollen auf
den Felsen unsere matschigen Bananensandwiches verzehrten, während meine Eltern
und Clive hinter beschlagenen Scheiben im Auto saßen. Ich konnte kaum glauben,
daß sie wirklich da war, es kam mir vor, als sei sie hinter einem Spiegel
hervorgetreten. Sie hatte braunes Haar, ich war blond, sie hatte grüne Augen,
meine waren blau, sie hatte weiße, feuchte Haut, meine war blaßrosa und
trocken, aber auch sie platzte schier vor Unzufriedenheit, und das verband uns.
In zögernden Gesprächen tasteten wir uns an das heran, was wir gemeinsam
hatten. Sie liebte Tiere, ich liebte Bücher, doch ihre Tiere gab es nur in
ihrer Phantasie: das Pony, das ihre Mutter sich nicht leisten konnte, der Hund,
den sie nicht bekam, weil die Bauern streunende Hunde grundsätzlich erschossen,
der Leguan, den sie ebenfalls nicht bekam, weil Leguane ins Reptilienhaus des
Zoos gehörten.
    In den Sommerferien lernten wir
schwimmen, die erste größere Sache, die wir gemeinsam unternahmen. Gail war gut
in Turnen und Leichtathletik, aber die Klassenausflüge in die öffentliche
Badeanstalt von Whitchurch hatten ihr das Schwimmen ebenso verleidet wie mir —
eine kleine, dampfige, nach Chlor stinkende Halle mit gesprungenen Kacheln und
ohrenbetäubendem Lärm, eine Sportlehrerin, die bis drei zählte und einen dann
ins Wasser stieß. Doch jetzt gingen Gail und ich wie die anderen Kinder in
Hanmer (die kaum jemals mit uns redeten, weil wir die Prüfung für die höhere
Schule bestanden hatten) zu dem kleinen See, zogen uns im Gänse- und Entendreck
am Ufer um und alberten in der nach Regen riechenden warmen Brühe herum, bis wir
uns über Wasser halten und nach einer Weile sogar schwimmen konnten — wenn auch
in einem Stil, daß unserer Sportlehrerin die Haare zu Berge standen, als die
Schule wieder anfing. Noch heute sehe ich, wenn ich mir das Wort »Hundepaddeln«
vorsage, Gails Kopf mit der Bademütze über dem trüben Wasser, die Augen vor
Entschlossenheit hart wie Kiesel, die Wimpern naß

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