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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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zu arbeiten, und wenn
man noch zur Schule ging, hielt man den Blick fest auf die Zukunft gerichtet.
Ein paar Revoluzzer von der Jungenschule redeten von Jazz und Existentialismus,
aber sie übten nur für die Universität. Rock gab sich proletarisch, auf dem
Land ein gefährliches Spiel, auch wenn es von Anfang an in harmlose Bahnen
gelenkt wurde.
    In Schlagerpiraten, einem der ersten Rockfilme, sitzt Fats Domino in einer Szene am Flügel und
singt von den Freuden des Samstagabends, das Gesicht einem hopsenden, zuckenden
ausschließlich weißen Publikum zugewandt, die Jungen mit Fliege, die Mädchen
mit Bubikragen, manche nicht älter als dreizehn. Der strahlende, mondgesichtige
Fats wiegt bereits an die zwei Zentner und ist ebenfalls noch sehr jung, aber
schon mit allen Wassern gewaschen; wo er herkommt, gehen die Uhren anders. In Schlagerpiraten treten schwarze und weiße Künstler nie gemeinsam auf, außer in einer einzigen
Szene, in der Jane Mansfields schwarzes Dienstmädchen unwillkürlich anfängt,
die Beine zu werfen und die Augen zu rollen, als der weiße, aber verlotterte
Eddie Cochrane im Fernsehen kommt. Das verleiht der neuen Teenagermusik das
Siegel der Glaubwürdigkeit, wahrt aber zugleich den Anstand: Wir tun nur so
proletarisch, es ist nur ein Spiel. Wenn man diesen Film sah, kam man sich vor,
als würde man sich im Gruselkabinett verirren. Die Jungen, knuddelig und
hysterisch, waren alle in Laufställe eingesperrt. Jerry Lee und Mrs. Jerry —
Myra hieß sie — vermischten Fakten und Phantasie.
    Es gab da ein großes Rätsel:
Wenn man erst einmal Teenager war, wurde man dann schneller oder langsamer
erwachsen? Waren Gail und ich total überdreht oder tödlich gelangweilt? Oder
beides zugleich? Wir knisterten vor emotionaler Spannung. Wenn wir auf den Bus
warteten oder in Whitchurch durch die Straßen schlenderten, hielten wir uns an
den Händen, um uns zu erden — nicht sanft oder gefühlvoll, sondern so fest, als
könnten wir jeden Moment stürzen oder davonschweben. Die Sitten und Gebräuche
in Hanmer konnten uns gestohlen bleiben, und wir bekamen Kicheranfälle, wenn
uns jemand onkelhaft fragte, ob wir schon einen Freund hätten. Einen Freund! Immerhin beäugten wir die jungen Bauern (jung! Einige gingen bereits auf die
Dreißig zu und warteten darauf, daß ihre rotgesichtigen Väter starben oder sich
aufs Altenteil zurückzogen) und suchten nach Anzeichen dafür — etwas zu lange
Koteletten, ein tiefer Blick — , daß sie Bescheid wußten. Aber worüber? Über
etwas, was uns bekannt war, oder etwas, wovon wir nichts ahnten? Die Welt
gaukelte uns Möglichkeiten vor. Selbst die braven Jungen, die bei den
Pfarrhausfesten Tischtennis spielten und lauwarme Limonade tranken, konnten im
Halbprofil zwielichtig wirken. Wir redeten stundenlang — miteinander, nicht mit
ihnen — , wir stellten Spekulationen an und deuteten die Symptome unterdrückter
Bedürfnisse.
    Das war jedoch ein undankbares,
abwegiges Unterfangen, besonders bei den Pfarrhaus-»Feten«, denn das neue
Regiment im Pfarrhaus war farblos und friedlich. Mr. Hopkins, der Nachfolger
meines Großvaters, war ein sanftmütiger Mensch — ein wenig snobistisch,
einigermaßen wohlhabend (seine Kinder waren im Internat) — , der nicht zu
effekthascherischen Predigten oder Exzessen irgendwelcher Art neigte. Das
Pfarrhaus war gründlich renoviert worden, und es gab darin keine dunklen Winkel
mehr. Mrs. Hopkins ließ durchblicken, daß das Haus in einem schauderhaften
Zustand gewesen sei, und es war klar, daß sie damit auch die moralische Hygiene
meinte. Jetzt war alles hell und präsentabel, und Mr. Hopkins gab auf dem
Dachboden seine untadeligen Tischtennis-Partys und hielt den
Konfirmandenunterricht im Salon ab.
    Der Konfirmandenunterricht bot,
wie sich zeigte, mehr Gelegenheit zur Sünde als das Tischtennis. Nach den
ersten paar Stunden trieb mich der alte Geist des Pfarrhauses, der so
schändlich vor die Tür gesetzt worden war, zu einem offenen Wort. Ich blieb
noch da, als die anderen gingen, und teilte Mr. Hopkins mit, daß ich nicht
konfirmiert werden könne, weil ich nicht an Gott glaubte. Das stimmte: Eine
Kombination aus Dichtung für die Jugend, Shaw, Hardy und Grandpas Abkehr
vom Glauben hatte bewirkt, daß ich jetzt, mit dreizehn, an die Vergänglichkeit
allen Seins und die Unbarmherzigkeit der Natur glaubte. Doch Mr. Hopkins interessierten
meine Ansichten nicht. Meine Skrupel waren ihm offenbar lästig und peinlich; er
meinte,

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