Die Anfänge meiner Welt
Frauen, die nicht heirateten, aber die waren unweiblich,
unausgefüllt, von Natur aus geschlechtslos oder — fast genauso schlimm —
lesbisch. Auf jeden Fall kompensierten sie nur, daß sich nie ein Mann für sie
interessierte. Hätten sie auch nur die kleinste Chance, würden sie
dahinschmelzen wie die Karrierefrauen im Film, die zu schnurren anfangen, wenn
der Held ihnen die Brille abnimmt und ihr straff zurückgekämmtes Haar löst.
Alles, was damals über Sex
gesagt wurde, handelte von getrennten Sphären. Wir dachten, Shakespeares
hymnische Sonette seien an ein Mädchen gerichtet, wir lasen Lady Chatterley in
einer gereinigten Fassung für die Oberstufe, aber wir hätten wohl nicht einmal
am ungekürzten Text erkannt, daß es sich bei dem heiligsten, innigsten Akt der
Intimität zwischen Connie und Mellors um Analverkehr handelt, so laut tönten
die Schlachtrufe von Natur und Realismus, die das eigentliche Tun der Personen
verschleierten. Der Gegensatz war unüberwindlich. Man konnte sich als Freigeist
oder Bohemien fühlen — durch seine weibliche Natur war man darauf programmiert,
mit Gräbern, Fels und Baum zu kreisen. Unsere Helden, die Beatniks, erfanden
diese Welt neu. Jack Kerouacs Gefährtin Joyce Johnson beschreibt, wie sie auf
eine Rolle festgelegt wurde:
Konnte
er keine Frau auf seine Reisen mitnehmen...? Jedesmal wenn ich darüber reden
wollte, schnitt er mir das Wort ab und sagte, im Grunde wolle ich nur Kinder
bekommen. Das wollten alle Frauen und ich auch, selbst wenn ich das Gegenteil
behauptete. Noch wichtiger als eine große Schriftstellerin zu werden sei es
mir, Leben hervorzubringen, ein Glied in der Kette von Leiden und Tod zu
werden...
Joyce brauchte fast dreißig
Jahre, um diesen Unsinn so distanziert niederschreiben zu können. Es ist
bitter, sich klarzumachen, daß man ein Produkt mythischer Vorstellungen war:
Mädchen standen einer vielversprechenden Zukunft im Wege, sie waren eine Falle
für junge Männer. Erst hinterher ist man klüger und sieht, daß das Gegenteil
der Fall war. In solch verführerischen Geschichten von männlicher Freiheit
stehen die weiblichen Bedürfnisse von vornherein fest. Man soll wie Lucy für
immer bleiben, wie man ist.
Ich erinnere mich an eine
flachgedrückte Stelle im hohen, sich fast schon aussäenden Gras am Treidelpfad
entlang des Shropshire Union Canal. Es ist ein strahlender, heißer
Sommernachmittag, ein Jahr nachdem wir unsere Familiengeschichten
zusammengeworfen haben. Vic und ich sind von den umliegenden Feldern aus nicht
zu sehen, wohl aber für die Spaziergänger auf dem Weg und die Boote, die jedoch
nur in großen Abständen vorbeikommen. Ausziehen können wir uns nicht, nur im
Dunkeln wären wir sicher, aber wir halten uns nicht an den Stundenplan der
Liebe. Wir wollen unter die Haut des anderen, ohne die Kleider abzulegen, und
die Stellen, die wir berühren, liegen unter zerknautschten, widerspenstigen
Hemden, Jeans, Unterhosen. Es gibt keine ruhigen Liebkosungen, keine langen
Blicke, es ist fast nur schmerzhafte Seligkeit. Um uns eine Wolke von
Blütenstaub und winzigen Faltern und Fliegen, die wir aufgescheucht haben. Wir
zerfließen, die Augen halb geschlossen, halten einander mit ausgestreckten
Armen an den Händen, gekreuzigt, stoßend, uns windend. Unsere Küsse sind wie
Mund-zu-Mund-Beatmung, uns ist, als müßten wir sterben. Die kindliche
Mathematik des Aus-zwei-mach-Eins will nicht klappen.
Orte, Augenblicke. Einmal, als
meine Eltern nicht da sind, liegen wir am Rand des alten Rasen-Tennisplatzes in
Sunnyside im Unkraut, als im Haus jemand ans Fenster klopft. Grandma späht
heraus, zu kurzsichtig, um Einzelheiten zu erkennen, aber sie sieht, daß ich
mich in der Horizontalen befinde und einen Jungen umarme, das genügt.
Poch-poch-poch, aufwachen.
Die Tage der Sommerferien
fließen ineinander. Jeden Vormittag saß ich in der Küche in einem Kaminsessel,
der mit alten Zeitungen ausgelegt war (weil mein Vater sich darin in seinem
verschmierten Overall die Stiefel auszog, wenn er von der Arbeit nach Hause
kam), und übersetzte zwei- bis dreihundert Zeilen aus der Aeneis, ohne
ein Wörterbuch zu benutzen. Bei Wörtern, die ich nicht kannte, riet ich. Latein
war nach wie vor mein Lieblingsfach; trotz Lady C. und Mrs. Davies kam
es mir fast wie Faulheit vor, auf den knisternden alten Daily Mails zu
sitzen und das römische Epos hinzukritzeln. Nachmittags spielte ich in
Whitchurch mit Gail Tennis, oder wir schlenderten von
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