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Die Angebetete

Die Angebetete

Titel: Die Angebetete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Abend gehabt habe.«
    Harutyun atmete vernehmlich aus. »Der Kerl hat ja Nerven.«
    Sie schrieb zurück, sie würde sich mit ihm um neun Uhr morgens treffen.
    Er antwortete:
    Gut. Ich freue mich schon darauf, etwas Zeit mit Ihnen allein zu verbringen, Agent Dance.

MITTWOCH

46
    Um Punkt neun Uhr traf Kathryn Dance sich mit Edwin Sharp in einem unbenutzten Büro des FMCSO , nicht etwa in einem Verhörraum. Die Ausstattung des Zimmers war nicht einschüchternd, und es gab hier auch keine Spiegel.
    Der Ort war Dance’ Idee gewesen, um Edwin nicht unter Druck zu setzen. Gemütlich war es hier allerdings auch nicht. Das Büro hatte keine Fenster und besaß einen grauen verschrammten Schreibtisch, dem ein Bein fehlte, das durch einen Stapel Bücher ersetzt worden war. Dazu drei verstaubte tote Pflanzen und haufenweise Aktenkartons. An den Wänden hing ein halbes Dutzend verblasster Fotos von einem Familienurlaub an einem See, circa 1980.
    Der hochgewachsene Mann trat vor Kathryn ein, ließ sich auf den Stuhl fallen und blickte ihr belustigt und neugierig entgegen. Ihr fielen abermals seine übergroßen Arme, Hände und Augenbrauen auf. Er trug ein kariertes Hemd und enge Jeans, dazu einen breiten Gürtel mit großer silberner Schnalle, die aus irgendeinem Grund zu einem stereotypen Bestandteil des Cowboytums geworden war. Dance fragte sich, ob die Leute auf den Ebenen von Kansas oder Westtexas im neunzehnten Jahrhundert wirklich solche Gürtel getragen hatten.
    Seine Stiefel mit Metallkappen auf den Spitzen waren abgenutzt, sahen aber teuer aus.
    »Stört es Sie, wenn ich mir Notizen mache?«, fragte sie.
    »Überhaupt nicht. Meinetwegen können Sie unser Gespräch sogar aufzeichnen.« Er sah sich im Zimmer um, als wüsste er, dass jemand genau das tat. Dance war nicht verpflichtet, es ihm mitzuteilen, denn sie hatten sich einen entsprechenden Gerichtsbeschluss besorgt; der Mann war immerhin ein Mordverdächtiger.
    Nach außen ließ Dance sich nichts anmerken, aber seine Auffassungsgabe – oder Intuition – gab ihr zu denken. Dazu sein völlig ruhiges Verhalten. Und dieser Anflug eines falschen Lächelns verstärkte den unheimlichen Eindruck nur noch.
    »Falls Sie eine Kaffee- oder Zigarettenpause einlegen möchten, brauchen Sie es nur zu sagen.«
    »Ich halte mich von Kaffee fern«, sagte er und äußerte sich mit keiner Silbe zu dem zweiten Angebot. Aus Schüchternheit? Dance hatte herausfinden wollen, ob er immer noch Raucher war. Doch ob er sie nun ausmanövriert hatte oder nicht, sie konnte das Thema kein zweites Mal zur Sprache bringen, ohne Verdacht zu erregen – so wie es Madigan während des ersten Verhörs passiert war.
    Dann überraschte Edwin sie noch mehr, denn er fragte beiläufig: »Wie lange arbeiten Sie schon im Polizeidienst, Agent Dance?«
    Das war genau die Art von Frage, die sie selbst in der Anfangsphase eines Verhörs stellen würde, um eine Verhaltensnorm für die kinesische Analyse zu etablieren.
    »Schon seit einer ganzen Weile. Aber bitte nennen Sie mich Kathryn. Also, was kann ich für Sie tun?«
    Er lächelte wissend, als hätte er mit einer solch ausweichenden Antwort gerechnet. »›Seit einer Weile.‹ Aha. Sie wirken erfahren. Das ist gut. Oh, und Sie können mich Edwin nennen.«
    »Gern, Edwin.«
    »Gefällt es Ihnen in Fresno?«
    »Ja.«
    »Ein wenig anders als Monterey, nicht wahr?«
    Es überraschte Dance nicht, dass Edwin Nachforschungen über sie angestellt hatte. Sie fragte sich allerdings, wie viel er wohl über sie wusste.
    »Es ist schön hier«, fuhr er fort. »Ich habe nicht viel für Nebel übrig. Wohnen Sie nah am Wasser?«
    »Edwin, was kann ich für Sie tun?«
    »Sie sind beschäftigt, ich weiß. Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. So hat meine Mutter das genannt. Als Kind habe ich mich immer gefragt, was heißer Brei damit zu tun hat. Sie hat überhaupt gern Redewendungen benutzt. Eine tolle Frau.« Sein Blick wanderte über ihr Gesicht und streifte kurz ihre Brust und ihren Bauch, aber nicht auf anzügliche Weise. Dann sah er ihr wieder in die Augen. »Ich wollte mit Ihnen sprechen, weil Sie klug sind.«
    »Klug?«
    »Ich wollte mit jemandem sprechen, der mit dieser Situation zu tun hat und klug ist.«
    »Hier im Sheriff’s Office arbeiten viele gute Leute.« Sie vollführte dabei eine ausholende Geste und fragte sich, ob er mit seinem Blick wohl ihrer Hand folgen würde. Das tat er nicht. Seine Augen blieben eindringlich auf ihr Gesicht gerichtet und

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