Die Angebetete
gemildert hätte. Keuchend lag sie da und rang nach Atem.
Verflucht, o verflucht, tut das weh! Ich krieg keine Luft …
Sie hörte schnelle Schritte, die immer näher kamen.
Noch näher, noch näher.
Verzweifelt versuchte sie, in Richtung der Straße zu kriechen, wo vielleicht ein Wagen vorbeifahren und ihn am Schießen hindern würde.
Doch bis zum Zaun waren es mindestens zwölf oder fünfzehn Meter, mitten durch das Unterholz.
Sie wollte aufstehen, schaffte es aber nicht; da war keine Luft in ihrer Lunge.
Dann hörte sie in der stillen, feuchten Nacht ein unverwechselbares Geräusch: Jemand lud den Schlitten einer Automatikpistole durch und beförderte eine Patrone in die Kammer.
45
Kathryn Dance versuchte ein letztes Mal, in Deckung zu gelangen.
Doch es gab hier keine Deckung, nur dünne Kiefern und karge Sträucher.
Dann ertönte nicht weit entfernt eine feste Männerstimme. »Kathryn!« Ein schneidendes Flüstern.
Sie sah sich um, konnte aber niemanden sehen.
Dann rief der Sprecher: »Sie da bei dem Spielgerüst. Ich bin County Deputy. Ich habe eine Waffe. Keine Bewegung!«
Dance hielt nach dieser zweiten Person Ausschau, konnte aber auch ihren Angreifer nicht entdecken.
Es folgte eine endlose Pause, und dann hörte sie hinter sich jemanden weglaufen.
Ihr Retter rannte sofort hinterher. Dance rappelte sich auf und versuchte – immer noch weitgehend erfolglos – zu atmen. Wer war das? Harutyun?
Sie rechnete damit, Schüsse zu hören, aber es gab keine, nur das Geräusch zurückkehrender Schritte. »Kathryn, wo bist du?«, flüsterte ihr Retter. Die Stimme klang vertraut.
»Hier.«
Er kam näher. Endlich gelang ihr ein tiefer Atemzug. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und blinzelte überrascht.
Der Mann, der dort soeben durch den Wald zu ihr kam und seine Waffe einsteckte, war Michael O’Neil.
Sie stieß ein Lachen aus. Es klang teilweise erleichtert, teilweise erfreut und auch ein klein wenig hysterisch.
Sie saßen in der Bar und tranken jeder ein Glas Sonoma Cabernet.
»Das war dein Wagen?«, fragte Dance. »Der hier vor einer Viertelstunde auf den Parkplatz eingebogen ist?«
»Ja. Ich habe gesehen, wie du die Straße überquert hast. So, als sollte dich niemand bemerken.«
»Ich habe es jedenfalls versucht. War aber nicht gut genug.«
»Also bin ich dir gefolgt.«
Sie lehnte ihren Kopf an seine breite Schulter. »Oh, Michael, ich hätte nie gedacht, dass es eine Falle war.«
»Wer war das? Edwin?«
»Vielleicht. Ja, nein, wir wissen es nicht. Was hast du gesehen?«
»Nichts. Einen Schatten.«
Sie lachte bei dem Wort leise auf und trank einen Schluck. »Das ist das Motto dieses Falls: Schatten.«
»Benutzt er immer noch dieses Lied, von dem du mir erzählt hast?«
»Ja.«
Sie fasste für ihn die Entwicklungen dieses Tages zusammen. Dazu zählte auch, dass die Informationen auf einer der Internetseiten, auf die O’Neil bei dem Partner des Filesharers in Salinas gestoßen war, dazu beigetragen hatten, das Leben von Kayleighs Stiefmutter zu retten.
»Er nimmt sich nahe Angehörige vor?« O’Neil war ein erfahrener Detective und hatte auch schon mit Stalking-Fällen zu tun gehabt. »Das ist selten.«
»Ja, ist es.« Sie überlegte. »›Your Shadow‹ hat noch eine weitere Strophe. Andererseits hat Kayleigh eine Menge Songs geschrieben. Sie ist überzeugt, dass er die Brände wegen ihres Hits ›Fire and Flame‹ gelegt hat. Wer weiß schon, was er sich noch ausdenkt? Bei ›Your Shadow‹ hat jede Strophe ein eigenes Thema, aber sie sind nur vage umrissen, sodass wir nicht vorhersehen können, wer sein nächstes Opfer sein wird.«
»Wie lautet die letzte Strophe denn?«
Dance kannte den Text inzwischen auswendig.
You can’t keep down smiles; happiness floats.
But trouble can find us in the heart of our homes.
Life never seems to go quite right,
you can’t watch your back from morning to night.
Das Lächeln vergeht dir nicht,
es gibt auch glückliche Momente.
Doch sogar in der Geborgenheit unseres
Zuhauses können die Sorgen uns einholen.
Das Leben läuft anscheinend nie so richtig rund,
und du kannst nicht von morgens
bis abends auf der Hut sein.
»Das mag ja ein Liebeslied sein, aber ich finde es ziemlich unheimlich. Und du hast recht, es liefert nicht unbedingt die GPS -Koordinaten des nächsten Tatorts.«
»Also«, sagte Dance und musterte ihn dabei von oben bis unten. »Du bist nach dem Abendessen einfach ins Auto gehüpft und dreieinhalb Stunden
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