Die Angebetete
sie hergebeten. Die junge Frau hatte widerstrebend eingewilligt und Alicia Sessions zur moralischen Unterstützung mitgebracht. Kayleigh war übermüdet und blass und hatte das beeindruckende honigblonde Haar zu einem festen Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug eine burgunderfarbene Schirmmütze ohne Logo, als wolle sie sich am liebsten verstecken.
Sie trug außerdem eine weite Jeans, registrierte Dance, und keine der enger geschnittenen Hosen, die man von ihren Albumcovers und Konzerten kannte, dazu ein dickes langärmeliges Strickhemd, das bei dieser Hitze die reine Qual sein musste.
Doch falls sie dadurch möglichst unattraktiv wirken wollte, hätte sie sich die Mühe sparen können, wusste Dance. Für Edwin Sharp war sie die aufreizendste, schönste Frau der Welt, ganz egal, welche Kleidung sie trug und ob sie auf Make-up verzichtete.
Kayleigh berichtete, dass Edwin ihr schon wieder nachspioniert habe, vor knapp einer Dreiviertelstunde, von einer neuen Stelle aus. Offenbar hatte er keine Lust mehr darauf gehabt, dass ständig die Polizei vorbeifuhr und ihn auf dem Parkplatz des Erholungsgebietes anstarrte, das genau gegenüber von ihrem Grundstück lag. Demnach hatte er sich gleich nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft auf den Weg zu Kayleigh gemacht – wie ein Süchtiger, der seine Dosis Meth brauchte.
Die Stimme der Sängerin zitterte, während sie diese Geschichte erzählte, woraus Dance schloss, dass Kayleigh ihn nicht nur gesehen hatte, sondern dass noch mehr passiert war. Sie fragte sich, ob es gar eine direkte Konfrontation gegeben hatte. Doch was auch immer geschehen sein mochte, es war klar, dass Kayleigh nicht darüber reden wollte.
Alicia Sessions’ Aufmachung war das genaue Gegenteil des Erscheinungsbildes ihrer Chefin, fast schon aggressiv herausfordernd. Enge Jeans, hellblaue Cowboystiefel und ein grünes Tanktop, unter dem leuchtend orangefarbene BH -Träger hervorblitzten. Und beachtliche Muskeln. Dance hätte gern gewusst, wie die große Tätowierung auf ihrem Rücken wohl vollständig aussah. Alicias Miene war ernst. Die Frau war eindeutig verärgert, und ein Teil dieses Zorns schien den Deputys zu gelten, als würden sie nicht genug tun, um ihre Chefin zu beschützen.
»Chief Madigan war so freundlich, das CBI im Mordfall Prescott zur Beratung hinzuzuziehen«, sagte Dance. »Wir gehen vorläufig davon aus, dass die Tat mit dem Stalker zusammenhängt, der Kayleigh seit einer Weile belästigt. Ich bin nicht hier, um jemandem auf die Zehen zu treten, und falls Sie den Eindruck haben, dass zwischen Ihrer Behörde und meiner eine Konfliktsituation droht, können Sie mich oder Chief Madigan jederzeit darauf ansprechen. Meine Mitarbeit kann vielleicht von Nutzen sein, weil ich bereits einige Erfahrungen mit Stalkern gesammelt habe.«
»Persönlich?«, fragte Lopez.
Alle lachten.
»Die meisten verlässt der Mut, wenn sie eine Glock 23 an deiner Hüfte sehen.«
Auch Kayleigh lachte über diesen Scherz, aber zu laut. Die Arme ist völlig verängstigt, folgerte Dance. Alicia blickte argwöhnisch drein.
»Zunächst mal – mein Kollege in Monterey hat herausgefunden, dass keine Haftbefehle oder Gerichtsbeschlüsse gegen Edwin vorliegen – weder auf Bundesebene noch in Kalifornien, Washington oder Oregon. Ein paar Verkehrsverstöße, mehr nicht. Für einen Stalker ist das eher ungewöhnlich, denn meistens gibt es eine Vorgeschichte mit entsprechenden Strafanzeigen. Andererseits könnte er einfach nur sehr vorsichtig sein. Und wir wissen, dass er intelligent ist.
Ich werde Ihnen nun ein wenig über Stalking erzählen und darüber, wie Edwin meines Erachtens in dieser Hinsicht einzuordnen ist. Es gibt verschiedene Arten von Stalkern. Der erste Typ wird als schlicht-obsessiv bezeichnet. Er tritt im privaten Umfeld auf. Zwischen dem Stalker und seinem Objekt hat es früher mal einen Kontakt gegeben, gemeinhin romantischer oder sexueller Natur. Denken Sie an Beziehungen, Ehen oder sogar One-Night-Stands, die kein gutes Ende nehmen. Oder an den Film Eine verhängnisvolle Affäre .«
»Jeder verheiratete Mann, der den gesehen hat, wird garantiert auf dem Pfad der Tugend wandeln«, sagte Lopez, was nervöses Gelächter nach sich zog.
»Dann gibt es die erotomanischen Stalker«, fuhr Dance fort.
»Sexuell Pervertierte?«, grübelte Madigan laut.
»Nein, es geht eher um Liebe als um Sex. Die herkömmlichen erotomanischen Stalker waren Frauen, die sich in einflussreiche Männer aus
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