Die Angebetete
Konzert« stimmte nicht so ganz – sie war seit dem Alter von neun oder zehn Jahren in Kirchen und bei Sportveranstaltungen aufgetreten. Doch ja, hier hatte sie ihren ersten Auftritt in einem Konzertsaal absolviert, wenn auch gemeinsam mit einigen anderen Kindern aus dem Schulchor der George Washington Middle School.
»Ungefähr eine halbe Stunde«, sagte sie nun zu Darthur Morgan.
»Ich warte hier«, erwiderte er. Und fing sofort an, nach Edwin Sharp oder anderen Gefahren Ausschau zu halten.
Kayleigh schloss die Tür auf und betrat das muffige Gebäude. An jenem Nachmittag hatte sie bei der Stiftung angerufen, der die Parker Hall gehörte, und behauptet, sie spiele mit dem Gedanken, hier ein Konzert zu geben. Ob sie sich wohl den Schlüssel ausborgen dürfe, um sich ein wenig umzusehen? Die Leute waren begeistert gewesen, und sie hatte höflich mehrere Angebote ablehnen müssen, sich hier herumführen zu lassen. Ihre Zeit sei leider sehr begrenzt, hatte Kayleigh gesagt, und sie sei sich nicht sicher, wann es ihr gelingen würde, hier vorbeizuschauen.
Im Innern der dunklen Halle knarrte und ächzte der Boden bei jedem Schritt, doch im Gegensatz zum Kongresszentrum fühlte Kayleigh sich durch die Atmosphäre nicht im Mindesten verunsichert. Sie wusste, woher Gefahr drohte.
Jedenfalls nicht aus den Schatten um sie herum.
Kayleigh hielt direkt auf die Laderampe im hinteren Teil zu, öffnete die Tür, ging hinaus und musterte die Straße, die parallel zur Olive Avenue verlief. Wenige Minuten später entdeckte sie den roten Buick, an dessen Steuer der Mann saß, der Bobby ermordet und beinahe auch Sheri umgebracht hatte und von dem Mary-Gordon und Suellyn entführt worden waren. Er fuhr am Theater vorbei und hielt an der Ampel. Ein Streifenwagen kam in Sicht.
Verflucht, damit hatte sie nicht gerechnet.
Die Polizei durfte bei Edwins Tod nicht in der Nähe sein. Was sollte sie jetzt machen? Aufgeben? Der Gedanke widerstrebte ihr zutiefst.
Der Buick wartete auf Grün und blinkte links.
Der Deputy versuchte, schlau zu sein, wurde langsamer und bog bereits einen Block hinter Edwin nach links in eine Parallelstraße ein. Anscheinend hoffte er, dem Buick so weiter unbemerkt folgen zu können.
Kayleigh hätte fast laut aufgelacht, denn Edwin trat sogleich das Gaspedal durch und bog nach rechts in eine Wohngegend ab. Damit hatte er den Deputy abgehängt.
It was tough that didn’t work out, but now it’s plain to see:
When it comes to things that matter, all I really need is me.
Sie zog sich wieder in den hinteren Teil des Theaters zurück, in dem verstaubte Kisten und Kabeltrommeln standen, öffnete ihre Handtasche und streifte Lederhandschuhe über. Dann löste sie den Bindedraht, mit dem ein zwanzig Zentimeter langes Filetiermesser auf einem Stück Pappe befestigt war.
Sorgfältig wickelte sie die Klinge in ein Papiertaschentuch und verstaute sie mit dem Griff nach unten in der Innentasche ihrer Jeansjacke.
Und dann kontrollierte sie zwei-, nein, dreimal den anderen Gegenstand, den sie mitgebracht hatte.
Hast du noch das Geschenk, das ich dir vor einigen Jahren gemacht habe?
Ich habe alle deine Geschenke noch, Daddy …
Kayleigh dachte nun an den Song, den Edwin Sharp am Montag in der Jukebox des Cowboy Saloon ausgewählt hatte. »Me, I’m Not a Cowgirl.« An einer Stelle hieß es da:
I haven’t got a cowgirl hat to shield me from the sun.
My boots they have high heels. I don’t own a single gun.
Ich habe keinen Cowgirl-Hut zum Schutz vor der Sonne.
Meine Stiefel haben hohe Absätze.
Ich besitze keine einzige Schusswaffe.
In Kayleigh Townes Fall traf der letzte Satz nicht ganz zu.
Das Geschenk ihres Vaters war ein Colt-Revolver gewesen. Er hatte ihn ihr zu ihrem Schutz gekauft, als sie noch ein Teenager war. Suellyn ging zu der Zeit aufs College, die Mutter der Mädchen war tot, und Bishop war praktisch ständig auf Tour und versuchte vergeblich, irgendwie seine Karriere zu retten.
Sie hatte ein paar Mal mit der Waffe geschossen, sich aber nie mit dem Rückstoß und dem Krach anfreunden können – trotz Hörschutz. Was für ein Quatsch, hatte sie gedacht.
Die Vorstellung, ein menschliches Leben zu nehmen, war damals undenkbar gewesen.
Und dann hatte sie vor zwei Jahren im Garten hinter dem Haus einen Kojoten entdeckt, aggressiv und wahrscheinlich tollwütig, der fauchte und die gelben Zähne bleckte.
Kayleigh hatte das zerlumpte Vieh kurzerhand mit einem einzigen Kopfschuss erlegt.
Und so
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