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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Tatjana und Lilly. Die beiden Mädels waren das Beste, was ihm in den letzten Jahren passiert war.
    Tatjana kümmerte sich um alles. Wenn er über die Stränge schlug, war sie da, und wenn er fror, deckte sie ihn zu.
    Lilly war anders. Lilly war ruppig und nicht mal fähig, eine Backmischung zusammenzurühren. Tatjana dagegen backte und glasierte ihre Kuchen sogar, glasierte sie mit warmer, dickflüssiger, vor Kakao fast schwarzer Schokolade. Leon fragte sich, ob er jetzt gerade warme Schokoglasur an den Fingern hatte. Das durfte nicht sein, dass er so beschmiert war. Ach, egal, und wenn, wenn doch, würde Tatjana kommen und ihm die Finger abwischen. Tatjana war sauber, ehrlich und zuverlässig. Sie war nicht egoistisch. Sie liebte ihn, das wusste er. Deshalb hatte er auch ein Foto vonihr neben sein Bett gestellt. Sie stand auf so was. Freute sich über Gesten. Er dagegen ... war müde. Ihm war so kalt. Wo blieb sie bloß?
    Er hatte nicht mehr viel Zeit. Warum eigentlich? Warum hatte er keine Zeit mehr? Er wusste es nicht, wusste nur, dass es so war, aber nicht mehr, warum.
    Es war etwas passiert. Danach war er bewusstlos gewesen und jetzt war die Erinnerung weg. Er hatte das ja manchmal, dass ihm Erinnerungen fehlten. Also hatte er wahrscheinlich wieder Mist gebaut. Gott, er hatte verdammt viel Mist gebaut in seinem Leben.
    So kurz das auch gewesen sein mochte, Leon hatte es immer irgendwie geschafft, aufzufallen und in Fettnäpfchen zu treten.
    Was war es diesmal gewesen, das er angestellt hatte?
    Gute Frage. Er wusste ja nicht mal, welche Jahreszeit sie hatten. Wegen der Winterkälte und der Kerzen, deren flackernder Schein durch seine geschlossenen Augenlider drang, tippte er auf Weihnachten. Überraschend, aber eigentlich schön, dass Weihnachten war. Nur verdammt kalt dieses Jahr. Trotzdem: Weihnachten war gut. Weihnachten, das hieß Weinseligkeit, voller Bauch, Schlafen in Sicherheit, in eine Decke gewickelt neben dem Tannenbaum. Tatjana bei ihm. Das wäre jetzt schön.
    Leon öffnete noch einmal die Augen und wusste in diesem einen Moment, dass es nicht so war, dass alles ganz anders war, furchtbar anders. Doch dann hörte er die klappernden Absätze seiner Freundin und seiner Stiefschwester und dachte, dass, wenn seine Mädels kamen, alles gut wäre, also dachte er an die Mädels, an Weihnachten und – das Schönste – Wärme.
43
    Tatjana spürte schon, dass etwas Schreckliches passiert war, bevor sie Leon sah. Er war über die Radständer gefallen, lag mit dem Gesicht zu den Kerzen auf dem Boden.
    Sie riss sich von Lilly los und stürzte auf ihn zu. Sie fiel auf die Knie und riss unvorsichtig seinen Körper herum. Er war warm und klebrig von Blut. Leon rührte sich nicht, schien nicht mal mehr zu atmen.
    »Was ist denn?« Lilly sah ihren Stiefbruder erst, als sie halb über Tatjana stolperte. »O Gott!«
    »Die Nummer vom Notarzt!«
    »Ja«, rief Lilly kopflos, »wie geht die denn?«
    »112. Mach schon!«
    Tatjana sah, dass Lilly ihre sonst so flinken Finger nicht gehorchten.
    Sie brauchte eine Ewigkeit, um den Notruf abzugeben, zappelte rum, stotterte und stammelte ins Telefon.
    Von Leon immer noch kein Mucks, seine Augen waren geschlossen. Tatjana rieb und umklammerte seine Hand, die feuchte, kühle Haut.
    »Halt durch, stirb nicht, hörst du.«
    »Wir müssen Erste Hilfe leisten.« Lilly keuchte vor Aufregung wie eine Herzkranke.
    »Ich weiß nicht, wie das geht«, weinte Tatjana. »Er hat so viel Blut verloren. Ich will ihn nicht umdrehen, ich will nichts falsch machen, ihm nicht wehtun. Leon, es tut mir so leid, dass wir uns gestritten haben, dass ich dich allein gelassen habe und nicht sofort gekommen bin, als ich deinen Hilfeschrei gehört hab, dass ich dir nicht beigestanden hab, Leon, ich liebe dich, Leon ...«
    »Tatjana, sag mir: Wer hat das getan?«
    Lilly wartete ihre Antwort nicht ab. Sie schoss hoch, sprangein paar Schritte vor und drehte sich auf dem Schuhabsatz mehrmals um die eigene Mitte. Mit vorgereckten Armen und rasselndem Atem scannte sie die Umgebung. Dann brüllte sie aus Leibeskräften: »Dreckschwein, Scheißdreckschwein!«
    »Lilly, bitte«, schluchzte Tatjana. Sie dachte, dass das vielleicht die letzten Worte wären, die Leon hörte, und dass das zwar okay wäre, weil er diese Ausdrücke ständig benutzte, aber dass sie überhaupt keinen Trost brächten, keine Linderung.
    Wie konnte so etwas nur geschehen?
    Noch gestern Nachmittag war ihre gemeinsame kleine Welt in schönster

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