Die Angst des wei�en Mannes
Abhängigkeit, eine forcierte Kooperation zwischen den einstigen großen Gegnern des Kalten Krieges. Das amerikanische Kommando ist auf ein gewisses Wohlwollen Moskaus angewiesen, um seine am Hindukusch engagierten Truppen mit dem ungeheuren materiellen Aufwand einer modernen Armee und deren aufgeblähter Logistik zu versorgen. Die Russen ihrerseits haben alles Interesse daran, daß die um Amerika gescharte Atlantische Allianz durch die radikalen islamischen Kräfte,darunter die Taleban, aber auch die Partisanen der usbekischen »Hizb-e-Tahrir«, die ihren Einfluß auf ganz Zentralasien ausdehnen möchten, am Hindukusch festgenagelt wird.
Der von Barack Obama berufene Oberbefehlshaber in Afghani stan, General McChrystal, hat nach den katastrophalen Folgen des wahllosen Bombenkrieges seiner Vorgänger und der damit verbun denen »Kollateralschäden« nunmehr auf eine Strategie der Scho nung und Zurückhaltung umgestellt, um unnütze Verwüstungen zu vermeiden und die Verluste unter den Zivilisten niedrig zu halten. Er tut das in der Hoffnung, ein Minimum an Vertrauen und Sym pathie bei der afghanischen Bevölkerung zurückzugewinnen, trotz des zwingenden Gebots der Blutrache, das im »Paschtunwali«, dem Sittenkodex der Paschtunen, vorgegeben ist.
Ich habe längst gemerkt, daß ich bei dem »Briefing« mehr Mit teilungen von mir gebe, als der zuständige Major sie mir bieten kann. Es besteht ebenfalls kein Zweifel, daß unser Gespräch aufge zeichnet und den zuständigen Experten der Military Intelligence überstellt wird.
Ein Kontingent Soldaten in sandgelber Tarnuniform ist inzwi schen in einem riesigen Hangar angetreten. Die GIs nehmen unter der weitgespannten Zeltplane ihre Kampfausrüstung für den bevor stehenden Einsatz in Empfang. Sie sind in einem dichten Karree aufgestellt. Die bleischweren kugelsicheren Westen haben sie be reits umgeschnallt. Nun fixieren sie noch den übrigen Ballast an ih rem Gurt und heben den viel zu schweren Rucksack auf den Rü cken. »Wenn einer von den Männern im steilen Gebirgsgelände zu Fall kommt, bleibt er doch wie ein Maikäfer hilflos auf dem Rücken liegen«, wende ich ein, und niemand widerspricht mir.
Als ich mich zur Zeit des Afghanistan-Krieges gegen die Sowjetunion auf den extrem beschwerlichen Steilpfaden der Mudjahidin mühsam fortbewegen mußte, hatten wir unser gesamtes Gepäck auf Maultiere und Esel gepackt. Immer wieder passierte es, daß wir von unseren kleinen, kräftigen Pferden absteigen mußten, weil die Hänge zu steil aufstiegen und die Kraft der Tiere überfordert hätten. Wir pflegten dann die Schwänze der Rösser zu packen und uns anden schwierigsten Passagen von ihnen hochziehen zu lassen. Aber NATO-Truppen durchkämmen wohl nur in extrem seltenen Ausnahmefällen diese zerklüftete Wildnis und sind dabei auf ihre Hubschrauber angewiesen. Jedenfalls wären gepanzerte Fahrzeuge – ob sie nun Marder, Dingo, Wolf oder Wiesel heißen – für dieses Terrain total ungeeignet.
Die amerikanischen Soldaten, die ihre Rüstung Stück um Stück ergänzt haben, wirken plötzlich so archaisch und erstarrt wie eine gepanzerte Rittertruppe des Mittelalters. Ihre Gesichter sind – wohl bei dem Gedanken, welche Mühsal und Gefahr ihnen bevorste hen – sehr ernst geworden. Plötzlich fällt mir ein, wo ich eine ähn lich bewegungsunfähige Armee schon einmal gesehen hatte. Die GIs, die in dem ausgeschachteten Hangar wie in einer Grube mas siert sind und sich anschicken, ihre Globemaster zu besteigen, glei chen zum Verwechseln jener Gespensterarmee aus Ton und ge brannter Erde, die am Rande der chinesischen Residenzstadt Xian aufgereiht steht, um den ersten großen Gründungskaiser des Rei ches der Mitte, Qin Xi Huangdi, auch jenseits des Todes als Leib garde zu schützen.
Exorzismus auf dem Berg Salomons
Osch, im Sommer 2009
In tiefer Dunkelheit sind wir in Osch angekommen. Unser kirgisischer Betreuer und Dolmetscher Orosbek – die Berufsgattung wird heute als »Fixer« bezeichnet – kannte sich in dem düsteren Gassengewirr gut aus. Er brachte uns in einem erbärmlichen Quartier unter, das den Namen »de Luxe« trug, und gab uns den dringenden Rat, keinen nächtlichen Spaziergang zu unternehmen. Wir seien hier nämlich in einer Hochburg der Kriminalität, des Drogenhandels und vor allem auch mörderischer ethnischer Spannungen angelangt, die in regelmäßigen Abständen zwischen Kirgisen und Us bekenausgetragen werden. Die Stadt Osch, mit 250 000 Einwohnern
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