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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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»clear and hold«. Auch am Me kong hatten sich die US-Strategen – ähnlich wie heute die durchaus fähigen Generale Petraeus und McChrystal – immer wieder der Illusion hingegeben, es sei möglich und unverzichtbar »to win hearts and minds« – die Herzen und die Gemüter der exotischen Bevölkerung zu gewinnen.
    Das war in Vietnam gründlich mißlungen, und in Zentralasien kam erschwerend hinzu, daß man es hier mit einer unerschütterli chen islamischen Glaubensgemeinschaft zu tun hatte, für die die Präsenz bewaffneter Ungläubiger auf einem Gebiet des »Dar-ul-Islam« einem entsetzlichen Frevel gleichkam und die frommen Muslime zum »qital fi sabil Allah – Kampf auf den Pfaden Allahs« verpflichtete.
    Als ich mich verabschiede, gestehe ich Francis, daß mich soviel kritische Freimütigkeit von seiten eines amerikanischen Interessenvertreters überrascht habe. Er reagiert mit einem ironischen Lächeln. »Als mir Ihr Besuch angekündigt wurde, habe ich mich über Ihren Werdegang und Ihre Meinungen erkundigt«, sagt er. »Aber nehmen Sie nicht an, daß der düstere Realismus, den ich hier vortrage, der vorherrschenden Meinung im Weißen Haus oder im State Department entspricht. Soviel hat sich noch nicht verändert, seit Barack Obama im Weißen Haus residiert. Seltsamerweise sind esdie hohen Militärs, die als erste dazu neigen, sich von gewissen Wunschvorstellungen der Vergangenheit zu verabschieden.«
    *
    Die übrigen Erkundungen, die ich in Bischkek einholte, waren weit weniger ergiebig als der Dialog mit dem amerikanischen Instituts leiter. Für einen kirgisischen Journalisten oder Politiker wäre es ohnehin nicht ratsam, seine Kritik an den Zwangsmaßnahmen des Bakijew-Clans oder seine Entrüstung über die staatliche Entmün digung freimütig zu äußern. So mancher Oppositionelle wurde ein gekerkert, in einzelnen Fällen auch durch Auftragskiller beseitigt.
    Die Aussage eines Professors der Rechtsfakultät hat sich mir ein geprägt. Ob die Auflösung der Sowjetunion als eine historische Fehlentwicklung zu bewerten sei, hatte ich ihn gefragt, und die wütende Antwort erhalten: »Das war kein Fehlverhalten, das war ein Verbrechen.« Früher habe man in besonders krassen Fällen un erträglichen Machtmißbrauchs durch lokale Parteifunktionäre im merhin die Möglichkeit einer Beschwerde, eines Rekurses beim Politbüro oder beim Zentralkomitee in Moskau besessen. Seit der asiatischen Unabhängigkeit seien der amtlichen Tyrannei keine Grenzen mehr gesetzt und gegen die Brutalität der Polizei gebe es keinen Einspruch.
    Ein Hauptmann der kleinen kirgisischen Armee, der gerade einen Lehrgang in Rußland absolviert hatte, lieferte eine durchaus plausible Analyse der russischen Einstellung zum militärischen Engagement Amerikas in Afghanistan. In Moskau beobachte man mit kaum verhohlener Schadenfreude, wie die US Army, die sich aus purer Arroganz bei den Veteranen des sowjetischen Feldzuges am Hindukusch niemals um irgendeinen Ratschlag oder Erfah rungsbericht über die Tücken und Gefahren der dortigen Krieg führung bemüht hätte, nun ihrerseits in ein vergleichbares Di lemma gerate.
    Bei aller Überlegenheit ihrer Waffen seien die Amerikaner der psychologischen Belastung eines »war of attrition« – eines Abnut zungskrieges– auf Dauer nicht gewachsen. Selbst beim Scheitern der Sowjetunion habe seinerzeit die psychologische Erschlaffung den Ausschlag gegeben. Zudem werde der Zusammenhalt der Atlantischen Allianz in diesem konfusen Unternehmen, das zwischen der robusten Kriegführung von »Enduring Freedom« einerseits, den behutsamen Pazifizierungsbemühungen von ISAF andererseits hin- und herschwanke, einer fatalen Zerreißprobe ausgesetzt. Für Medwedew und Putin könne es nur von Vorteil sein, wenn Barack Obama auf Drängen seiner Generale die US-Truppenpräsenz im Sektor AFPAK, im Raum Afghanistan/Pakistan, ständig verstärke und für eventuelle zusätzliche Krisenfälle über keine ausreichenden Reserven mehr verfüge.
    Eine Audienz bei dem kirgisischen Außenminister Kadyrbek Sar bajew, der dem Typus nach eher einem Tadschiken glich, blieb bei aller Herzlichkeit des Umgangs ohne nennenswerte Informationen. Mit jovialer Überzeugungskraft versuchte er zu erklären, wie sehr sein Staat darauf angewiesen sei, eine Balance zwischen Rußland, Amerika und China zu wahren. Gravierende Probleme für die Re publik Kirgistan wies er weit von sich. Für den Minister galt offen bar die Leibnizsche Maxime,

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