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Die Angune (German Edition)

Die Angune (German Edition)

Titel: Die Angune (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Staedtgen
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Bediensteten der befestigten Herberge waren wie eine große Familie für ihn, für die er die Verantwortung trug. Im Wesentlichen entsprang diese Vorliebe des Kenaan Ken'ka Rosenstaub der ruhigen und gelassenen Art aller Meneliden. Unten in der Tundra konnten die tagelangen Winterstürme, die aus dem Reich der Eiskönigin herauf jagten, nur ausgesessen werden, wenn man die erforderliche innere Ruhe und Gelassenheit besaß. Die größte Tugend aller Meneliden war daher die Geduld. Gesteckte Ziele verfolgten sie mit großer Hartnäckigkeit, und die Zeit spielte keine Rolle dabei.
    Das harte Leben in der lebensfeindlichen Tundra zwang die Sippen auch dazu, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Eitelkeit und Opportunismus waren Lappalien, die nichts zum Überleben in der Tundra beitrugen. Dass die Fremden, die zur Rast in seiner Herberge einkehrten, ihn für einen Fürsten hie lten, war unwichtig für Kenaan Ken'ka Rosenstaub. Aber ein paar gut gebratene Spiegeleier zum Frühstück schätzte er über alles. Und so besaß das Wohlergehen der Hühner des Bauernhofs einen wesentlich höheren Stellenwert in seinem Leben als das Gesäusel von Fremden, die sich selbst als hoffähig erachteten, und den Fürsten von Rassagard durch Schmeicheleien zu beeindrucken versuchten.
    Ken'ka Rosenstaub hatte - wie viele Meneliden - ein plattes Gesicht mit breiten Wangenknochen, das durch das Klima der südlichen Tundra braun gegerbt war. Die seitlich abstehenden spitzen Ohren und die schmalen, schräg stehenden Mandelaugen charakterisierten ihn eindeutig als einen Abkömmling der Meneliden. Das weiße, starke Gebiss verlieh dem Gesicht des friedlichen Mannes dazu noch etwas Raubtierhaftes und verunsicherte viele Schmeichler.
    Und so war der Fürst von Rassagard an diesem 56. Tag im 3. Sternenhaus des 5289. Sonnenumlaufs umringt von zahlre ichen Hühnern, die gierig das von ihm hingeworfene Futter aufpickten, als die Tür zum Hühnerstall aufgerissen wurde und einer der Landarbeiter herein gestolpert kam.
    »Durchlaucht, ein hoher Gast hat sich am Torhaus ang emeldet!«
    »So, so! Stattet mir der König der Weiten Ebenen etwa e inen Besuch ab?«, fragte Ken'ka Rosenstaub etwas spöttisch.
    »Nein, Durchlaucht! Aber der Herr Meister der Schriften vom Ältestenrat der Elfischen Gemeinschaft in Rinu'usala ist mit seinem Gefolge eingetroffen.«
    Kenaan Ken'ka Rosenstaub schaute den Sklaven etwas überrascht an, der demütig den Kopf beugte und zu Boden blickte. Das war mehr als ungewöhnlich und klang nach Problemen, für die sich Ken'ka Rosenstaub zu interessieren begann.
    »Sag der Torwache, sie soll den Gast in die Sippenhalle fü hren. Ich werde ihn dort begrüßen.«
    Der Fürst von Rassagard drückte dem Sklaven den leeren Futtereimer in die Hand und verließ den Hühnerstall. Draußen warf er gewohnheitsmäßig einen Blick in den Himmel und roch die Luft. Schon in jungen Jahren lernten die Kinder der Meneliden das Wetter richtig einzuschätzen. Ein Wettersturz in der Tundra konnte lebensbedrohlich sein. Heftige Sturmb öen aus dem Süden konnten die Temperatur innerhalb von Stunden um 25 Grad und mehr abstürzen lassen, während starke Schneefälle die Sichtweite schlagartig auf null setzten. Wer sich bei einem solchen Wettersturz in der Tundra verirrte, war in Lebensgefahr. Doch heute war die Wetterlage beständig.
    Beständig schlecht!
    Vor einigen Tagen hatte sich eine graue Wolkenschicht auf die Berge von Rassagard gelegt, die den Boden mit Nieselregen aufgeweicht hatte. Es war kalt, feucht und neblig hier oben am Pass.
    Mit schnellen Schritten ging Ken'ka Rosenstaub zur He rberge hoch, denn er musste sich umziehen. Den Gast aus Rinu'usala wollte er nicht in einer dreckigen Arbeitstunika empfangen, die nach Hühnerkot stank.
    Er warf sich eine lange, strahlendblaue Tunika über, dessen Stoff aus dem schweren, glänzenden Haar der Lamas gewebt worden war. Ornamente aus Seidenbrokat zierten die Ränder. Die Tunika wurde durch eine intensiv orangene Schärpe an der Hüfte zusammengehalten. Genauso farbenfroh waren die reich bestickten Reitstiefel aus Leder. Das lange, pechschwarze Haar, das er vorhin mit einem Knoten unter einer Filzmütze verborgen hatte, ließ er nun frei über die Schultern herabfli eßen.
    Die Sippenhalle war ein großer, rechteckiger Raum der aus grob behauenen Steinquadern gebaut worden war.
    Eine schmale Seite des Raums wurde von einem riesigen Kamin beherrscht. Der Rauchfang war so hoch, dass ein Mann

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