Die Anstalt
Luft in Angst und Schrecken lebten, andere, die glaubten, dass jeder Blitzstrahl bei einem Gewitter es unmittelbar auf sie abgesehen hätte, weshalb sie in den Ecken kauerten. Es gab Patienten, die nicht reden wollten und sich tagelang vollkommen in Schweigen hüllten, und andere, die ständig mit Obszönitäten um sich warfen. Manche wuschen sich zwanzig-, dreißigmal am Tag die Hände, andere wuschen sich nie. Wir waren eine Armee aus Zwängen und Obsessionen und verzweifelten Wahnvorstellungen. Einer der Männer, den ich recht bald mochte, hieß Newsman. Er wanderte wie ein moderner Ausrufer durch die Flure und spuckte Schlagzeilen aus, eine Enzyklopädie an Neuigkeiten. Wenigstens auf seine eigene, verrückte Art stellte er eine Verbindung zur Außenwelt dar und rief uns ins Gedächtnis, dass außerhalb der Klinikwände Dinge passierten. Und es gab sogar eine notorisch übergewichtige Frau, die Stunden damit zubrachte, im Tagesraum ein aggressives Pingpongspiel hinzulegen, die aber weit mehr Zeit darüber nachdachte, welche Konsequenzen es wohl für sie hatte, eine direkte Reinkarnation von Kleopatra zu sein. Es gab allerdings auch Zeiten, in denen sich Cleo nur für Elizabeth Taylor in der Filmrolle hielt. Irgendwie schaffte sie es, praktisch jede beliebige Zeile des Films zu zitieren, selbst Richard Burtons Text oder auch ein ganzes Shakespeare-Stück von vorn bis hinten, während sie mit energischen Schmetterbällen gegen einen imaginären Gegner punktete.
Wenn ich jetzt daran zurückdenke, erscheint es alles so absurd, dass ich meine, ich müsste laut darüber lachen.
Aber das war es nicht. Es war ein Ort unsäglicher Qual.
Für Leute, die nie verrückt gewesen sind, ist das einfach nicht nachvollziehbar. Wie weh jede Wahnvorstellung tut. Wie die Wirklichkeit außer Reichweite scheint. Eine Welt der Verzweiflung und Enttäuschung. Der Felsblock von Sisyphus hätte sehr gut in die Welt des Western State gepasst.
Ich ging zu meinen täglichen Gruppensitzungen bei Mr. Evans, den wir Mr. Evil nannten. Ein drahtiger Psychologe mit eingefallener Brust und herrischer Attitüde, der uns irgendwie signalisierte, dass er was Besseres sei, weil er abends nach Hause ging und wir nicht, was wir hassten, auch wenn es die offensichtlichste Art von Überlegenheit war. Bei diesen Sitzungen wurden wir dazu ermutigt, offen über die Dinge zu sprechen, deretwegen wir eingeliefert worden waren, und was wir nach unserer Entlassung zu tun gedächten.
Alle tischten Lügen auf. Wundervolle, hemmungslose, optimistische, sich verselbstständigende, enthusiastische Lügen.
Außer Peter the Fireman, der selten etwas beizutragen pflegte. Er saß neben mir und hörte sich höflich die phantastischen Märchen an, die ich oder jemand anders uns aus den Fingern sogen – wie wir uns eine geregelte Arbeit suchen, wieder zur Schule gehen oder vielleicht bei einem Aufbauprogramm mitwirken wollten, das womöglich anderen Betroffenen helfen könnte. Alle diese Lügen waren von dem einzigen, hoffnungslosen Gedanken beseelt: normal zu wirken. Oder wenigstens normal genug, um nach Hause gehen zu können.
Anfänglich fragte ich mich zuweilen, ob es nicht so etwas wie eine stille Übereinkunft zwischen den beiden Männern gab, denn Mr. Evil forderte Peter the Fireman niemals auf, etwas zur Diskussion beizutragen, selbst wenn sie einmal uns und unsere Probleme verließ und sich jüngsten Ereignissen wie dem Geiseldrama, den Unruhen in den Städten oder den ehrgeizigen Zielen der Red Sox für das kommende Jahr zuwandte – allesamt Themen, über die Fireman eine Menge wusste. Die beiden Männer verband irgendeine Heimtücke, doch der eine war Patient, der andere Psychologe, und zunächst einmal zeigten sie es nicht.
Auf eigentümliche Weise setzte sich bei mir der Eindruck fest, ich befände mich auf einer Expedition zu den entferntesten, trostlosesten Regionen der Erde, abgeschnitten von jeder Zivilisation, von allem Vertrauten, dabei, unaufhaltsam immer tiefer in ein unbekanntes Territorium vorzudringen, das man auf keiner Landkarte fand. Ein unwirtliches Territorium.
Das bald noch unwirtlicher werden sollte.
Die Wand zog mich selbst dann noch magisch an, als in der Küche das Telefon klingelte. Ich wusste, dass es eine meiner Schwestern war, die wissen wollte, wie es mir ging, worauf die Antwort lauten musste, wie immer, so, wie es mir vermutlich auch künftig immer gehen würde. Ich ließ es also klingeln.
Binnen weniger Wochen gab
Weitere Kostenlose Bücher