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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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kratzte nach einer Weile genug Mut zusammen, um zu sagen: »Ich hätte gerne einen Ausgangsschein. Mr. Moses geht heute Nachmittag mit einigen Leuten aufs Gelände raus, und ich würde gerne mitgehen. Er sagt, dass es ihm recht ist.«
    »Sie wollen raus?«
    »Ja, bitte.«
    »Wieso wollen Sie raus, Petrel? Was reizt Sie denn so am ›Leben in freier Natur‹?« Francis hätte nicht sagen können, ob er sich direkt über ihn lustig machte oder nur über das Ansinnen, durch die Haustür des Amherst zu treten.
    »Es ist ein schöner Tag. Irgendwie der erste schöne Tag seit langem. Die Sonne scheint, und es ist warm. Frische Luft.«
    »Und Sie meinen, das ist besser als das, was sich Ihnen hier drinnen bietet?«
    »Das hab ich nicht gesagt, Mr. Evans. Es ist einfach nur Frühling, und ich wollte gerne raus.«
    Mr. Evil schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie haben in Wahrheit vor zu türmen, Francis. Abzuhauen. Ich denke, Sie glauben, dass Sie sich verdrücken können, sobald Ihnen Little Black den Rücken kehrt, dass Sie den Efeu hochklettern und über die Mauer springen wollen, um dann den Hügel am College vorbeizulaufen, bevor jemand etwas von Ihrer Flucht bemerkt hat, und schließlich einen Bus zu nehmen, der Sie von hier wegbringt. Irgendeinen Bus, das ist Ihnen ganz egal, weil es überall besser ist als hier; das haben Sie, glaube ich, vor«, sagte er. Es lag ein scharfer, aggressiver Ton in seiner Stimme.
    Francis antwortete sofort: »Nein, nein, nein, ich will nur in den Garten.«
    »Das sagen Sie jetzt«, fuhr Mr. Evil fort, »aber woher soll ich wissen, dass Sie die Wahrheit sagen? Wie soll ich Ihnen trauen, C-Bird? Wie wollen Sie mich davon überzeugen, dass Sie die Wahrheit sagen?«
    Francis wusste beim besten Willen nicht, was er antworten sollte. Er wusste nicht, wie er irgendjemandem beweisen sollte, dass ein Versprechen, das er macht, aufrichtig ist, außer dass er sich entsprechend verhält. »Ich will einfach nur rausgehen«, sagte Francis. »Ich bin noch nicht draußen gewesen, seit ich hier bin.«
    »Und meinen Sie, dass Sie das Privileg, rauszugehen, verdienen? Was haben Sie denn getan, um es sich zu verdienen, Francis?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Francis. »Ich wusste nicht, dass ich es mir verdienen muss. Ich will einfach nur nach draußen.«
    »Was sagen denn Ihre Stimmen dazu, C-Bird?«
    Francis trat einen kleinen Schritt zurück, denn seine Stimmen brüllten alle von fern, aber dennoch laut und deutlich, er solle so schnell wie möglich von dem Psychologen verschwinden, doch diesmal widersetzte er sich dem inneren Tumult und blieb bei seinem Anliegen. »Ich höre keine Stimmen, Mr. Evans. Ich wollte nur mal raus. Weiter nichts. Ich will nicht weglaufen. Ich will auch keinen Bus irgendwohin nehmen. Ich will nur frische Luft.«
    Evans nickte, kniff aber zugleich verächtlich die Lippen zusammen. »Ich glaub Ihnen nicht«, sagte er, zog aber im selben Moment einen kleinen Block aus der Hemdtasche und schrieb ein paar Worte darauf. »Geben Sie das Mr. Moses«, sagte er. »Erlaubnis, nach draußen zu gehen, erteilt. Aber seien Sie pünktlich zu unserer Nachmittags-Gruppensitzung zurück.«
     
    Francis fand Little Black, eine Zigarette rauchend, in der Nähe der Pflegestation, wo er mit dem diensthabenden Schwesternpaar flirtete. Schwester Wrong war da und eine jüngere Frau, eine neue Lernschwester – die Short Blond genannt wurde, weil sie im Gegensatz zu den Toupierfrisuren der beiden älteren Kolleginnen, die schon ein wenig mit den Hauterschlaffungen und Falten der mittleren Jahre zu kämpfen hatten, das Haar zu einer Pixie-Frisur kurz geschnitten hatte. Short Blond war jung und dünn und drahtig mit einer jungenhaften Statur unter der Schwesternkleidung. Sie hatte blasse, fast durchscheinende Haut, die unter der Deckenbeleuchtung ein wenig zu glühen schien, außerdem ein dünnes, wenig tragendes Stimmchen, das, wenn sie nervös war – was, soweit es die Patienten sagen konnten, recht häufig vorkam –, sich zu einem Flüstern verflüchtigte. Große, laute Gruppen machten ihr Angst, und wenn es zur Zeit der Medikamentenausgabe an der Pflegestation vor Leuten so wimmelte, hatte sie zu kämpfen.
    Das waren immer angespannte Zeiten, in denen sich die Leute drängelten und versuchten, an die Fensteröffnung im Maschendraht zu gelangen, wo die Pillen in kleinen Pappbechern bereitgehalten wurden, auf denen jeweils der Name des Patienten stand. Es fiel ihr nicht leicht, die Leute warten zu

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