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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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rechnen müssen, der exotischsten Frau zu verfallen, die ich je zu Gesicht bekam. Und wahrscheinlich hätte ich auch begreifen müssen, dass der kurze, zuckende Blick zwischen Peter the Fireman und Lucy Kyoto Jones Bände sprach und auf eine viel tiefere Beziehung schließen ließ, als sie beide zu erkennen gaben. Doch ich war jung, und ich sah nur, dass urplötzlich die außergewöhnlichste Person in mein Leben getreten war, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Sie schien ein wenig zu glühen wie die Lavalampen, die Hippies und Studenten so liebten, eine sich fortwährend verändernde Form, die auf und nieder schwebte.
    Lucy Kyoto Jones war der Spross eines schwarzamerikanischen Soldaten und einer japanisch-amerikanischen Frau. Ihren zweiten Vornamen verdankte sie der Stadt, in der ihre Mutter geboren war. Daher rührten die mandelförmigen Augen und die kakaofarbene Haut. Von dem Stanford-Abschluss und dem Jurastudium in Harvard erfuhr ich erst später.
    Auch was die Narbe in ihrem Gesicht betraf, erfuhr ich erst später, was es damit auf sich hatte, denn mit dem Menschen, der sie dort hinterlassen und ihr auch die zweite, nicht so offensichtliche Narbe tief in ihrem Innern zugefügt hatte, begann ihr Weg, der sie ins State Western Hospital führte, wo sie Fragen stellte, die sich schon bald größter Unbeliebtheit erfreuten.
    Zu den Dingen, die ich in meinen verrücktesten Jahren lernte, gehörte der seltsame Sachverhalt, dass man sich in einem Raum mit vier Wänden und vergitterten Fenstern und mit Schlössern an den Türen inmitten von anderen Irren befinden oder sogar ganz allein in eine Isolierzelle gesteckt werden konnte, ohne sich tatsächlich in diesem Raum zu befinden. Der eigentliche Raum, in dem man sich aufhielt, setzte sich aus Erinnerungen, menschlichen Beziehungen, Ereignissen und allen möglichen unsichtbaren Kräften zusammen. Zuweilen auch aus Wahnvorstellungen, Halluzinationen und sogar Wünschen. Zuweilen aus Träumen und Hoffnungen oder Ambitionen. Das war das Entscheidende: Immer zu wissen, wo die eigentlichen Wände waren.
    Und dies war der Fall, als wir damals in Gulp-a-pills Büro zusammensaßen.
    Ich schaute aus dem Wohnungsfenster und sah, dass es spät geworden war. Das Tageslicht war der undurchdringlichen Nacht der Kleinstadt gewichen. Ich habe mehrere Uhren in meinem Apartment, die ich ausnahmslos meinen Schwestern verdanke, welche aus mir bislang unerfindlichen Gründen zu glauben scheinen, es bestünde für mich die unablässige, dringende Notwendigkeit, stets und ständig zu wissen, wie spät es ist. Diese Worte hier sind im Moment die einzige Zeitangabe, die ich brauche, musste ich unwillkürlich denken, und so legte ich eine Pause ein, rauchte eine Zigarette und sammelte dann sämtliche Uhren in der Wohnung ein, zog den Stecker heraus oder entfernte die Batterien, so dass sie alle zum Stillstand kamen. Ich stellte fest, dass sie alle mehr oder weniger zum gleichen Zeitpunkt anhielten – zehn nach zehn, elf nach zehn, dreizehn nach zehn. Anschließend nahm ich jede Uhr in die Hand und verstellte sowohl den kleinen wie auch den großen Zeiger, so dass nicht der leisteste Anschein einer zeitlichen Folgerichtigkeit aufrechterhalten blieb. Jede wurde in einem anderen Moment angehalten. Nachdem ich damit fertig war, musste ich laut lachen. Mir war, als hätte ich mir die Zeit vorgeknöpft und mich von ihren Zwängen befreit.
    Ich entsinne mich, wie Lucy vorgebeugt dagesessen und zuerst Peter, dann mich mit einem vernichtenden Blick angesehen hatte, mit dem nicht zu spaßen war. Vermutlich wollte sie anfänglich mit ihrer Zielstrebigkeit Eindruck auf uns machen. Vielleicht hatte sie auch gedacht, so ginge man eben mit Verrückten um – mit Härte, mehr oder weniger wie bei einem widerspenstigen Welpen. »Ich möchte ganz genau wissen«, forderte sie, »was Sie letzte Nacht gesehen haben.«
    Peter the Fireman zögerte mit seiner Antwort.
    »Vielleicht wollen Sie uns zuerst sagen, Miss Jones, wieso Sie sich für unsere Beobachtungen interessieren? Immerhin haben wir beide vor der hiesigen Polizei Aussagen gemacht.«
    »Wieso ich mich für den Fall interessiere?«, sagte sie knapp. »Kurz nachdem die Leiche gefunden wurde, habe ich von einigen Einzelheiten in Verbindung mit diesem Fall Kenntnis bekommen, und nach ein, zwei Anrufen bei der hiesigen Polizei erschien es mir angezeigt, sie persönlich zu überprüfen.«
    »Aber das heißt nichts«, erwiderte Peter nun seinerseits mit einer

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