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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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von Short Blond sehr ähnlich sind. Und dass jeder dieser anderen Leichen eine oder mehr Fingerspitzen an der Hand fehlen, genau wie bei Short Blond. Im Moment laufen meine Vermutungen darauf hinaus.«
    Lucy Jones lächelte, doch diesem Lächeln fehlte jeder Humor. Es war, dachte Francis, diese Art von Lächeln, unter dem man alle möglichen Gefühle versteckt. »Ziemlich heiß, Peter«, sagte sie.
    Peter kniff die Augen noch weiter zu und lehnte sich zurück, als müsse er sich stark konzentrieren, bevor er langsam weitersprach. Wieder richtete er seine Worte an Francis, obwohl sie in Wahrheit der Frau ihm gegenüber galten. »C-Bird, ich vermute außerdem, dass unsere Besucherin hier irgendwie damit betraut ist, den Mann zu finden, der bei diesen anderen Frauen die Fingerspitzen abgeschnitten hat. Und deshalb ist sie schnurstracks hier rausgekommen und wollte unbedingt mit uns sprechen. Und weißt du was, C-Bird?«
    »Was, Peter?«, fragte Francis, auch wenn er die Antwort schon kannte.
    »Ich möchte wetten, dass Miss Jones des Nachts, in den frühen Morgenstunden, in der vollständigen Dunkelheit ihres Zimmers drüben in Boston allein unter ihrer zerwühlten, nass geschwitzten Bettdecke liegt und Albträume von jeder einzelnen dieser Verstümmelungen hat und davon, was sie zu bedeuten hat.«
    Francis sagte nichts, sondern betrachtete Lucy Jones, die langsam nickte.

9
    Ich trat von der Wand zurück und ließ meinen Stift zu Boden fallen.
    Vom Stress der Erinnerung drehte sich mir der Magen um. Meine Kehle fühlte sich trocken an, und ich merkte, wie mein Herz raste. Ich wandte mich von den Wörtern ab, die auf dem schmutzig weißen Anstrich vor mir dahintrieben, und ging in das kleine Badezimmer des Apartments. Ich drehte den Heißwasserhahn auf und danach auch die Dusche, so dass sich der Raum mit schwülfeuchter Wärme füllte. Die Hitze hüllte mich ein, und meine Umgebung löste sich in Nebel auf. So ähnlich hatte ich den Moment in Gulp-a-pills Büro in Erinnerung, als die wahre Situation Gestalt annahm. Der Raum füllte sich mit Dampf, und ich merkte, wie mir, als hätte ich einen Asthmaanfall, die Luft wegblieb, genau wie an jenem Tag. Ich betrachtete mein Spiegelbild. In der Hitze war alles konturlos in Nebel getaucht. Es war nicht mehr so leicht zu sagen, ob ich so war, wie ich jetzt war – in fortgeschrittenem Alter, mit gelichtetem Haar und den ersten Falten, oder wie ich damals war, als ich noch meine Jugend und meine Probleme hatte, beides unentwirrbar miteinander verflochten, die Haut so straff und die Muskeln so angespannt wie meine Vorstellungskraft. Hinter diesem Spiegelbild von mir befanden sich die Regale, auf denen ordentlich aufgereiht meine Medikamente standen. Meine Hände fühlten sich wie gelähmt an, doch was noch schlimmer war, es erhob sich in mir ein grollendes, erdbebenartiges Zittern, als käme es da drinnen zu einer großen seismischen Verschiebung. Ich wusste, dass ich ein paar Tabletten schlucken sollte, um mich zu beruhigen, um meine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, all die Kräfte zu beschwichtigen, die mir unter der Haut auflauerten. Ich merkte, wie der Wahnsinn versuchte, über mein Denken die Oberhand zu gewinnen: Wie Fingernägel, die an einem Hang nach Halt suchen, wie ein Bergsteiger, der merkt, dass er das Gleichgewicht verliert und der einen Moment lang schwankt und sehr wohl weiß, dass ein unsicherer Tritt seinen Fall bedeutet und er, wenn er nicht irgendetwas zu fassen bekommt, in ewiges Vergessen stürzt.
    Ich atmete die überhitzte Luft aus. Mein Hirn war versengt.
    Ich konnte Lucy Jones’ Stimme förmlich hören, als sie sich zu Peter und mir vorbeugte.
    »… Ein Albtraum ist etwas, aus dem man aufwacht, Peter«, hatte sie gesagt. »Aber Gedanken und Vorstellungen, die nicht zusammen mit der Angst verschwinden, sind ungleich schlimmer.«
    Peter nickte zustimmend. »Mir sind diese Wachmomente bestens vertraut«, sagte er sehr ruhig in einem steifen, förmlichen Ton, der seltsamerweise zwischen ihnen eine Brücke zu schlagen schien.
    Dr. Gulptilil setzte den Gedanken, die sich im Raum verdichteten, ein Ende. »Also hören Sie«, sagte er in einer energisch aufdringlichen Art, »ich bin keineswegs damit einverstanden, in welche Richtung diese Unterhaltung sich entwickelt, Miss Jones. Sie suggerieren hier etwas, das kaum vorstellbar ist.«
    Lucy Jones wandte sich zu dem Psychiater um. »Was suggeriere ich denn Ihrer Meinung nach?«, fragte sie.
    Francis

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