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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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brachten, keineswegs vergleichbar, noch die Leitlinien hinsichtlich ihres Aufenthalts hier. Falls sie die beiden zu Rate ziehen wollen, könnte Ihnen das einige Schwierigkeiten bereiten.« Lucy winkte mit der Hand, wie um etwas dazu zu sagen, überlegte es sich aber anders. Als sie schließlich antwortete, unterstrich ihr förmlicher Ton den offiziellen Charakter der Übereinkunft. »Selbstverständlich. Das leuchtet mir vollkommen ein.«
    Nochmals herrschte kurzes Schweigen, bevor Lucy fortfuhr: »Es versteht sich wohl von selbst, dass der Grund für meine Anwesenheit sowie meine Absichten und Vorgehensweise vertraulich zu behandeln sind.«
    »Natürlich. Oder glauben Sie, ich gebe die Devise aus, dass möglicherweise ein heimtückischer Mörder nach wie vor in unserer Einrichtung herumläuft?«, sagte Gulptilil energisch. »Das würde zweifellos eine Panik auslösen und uns in einigen Fällen bei der Behandlung um Jahre zurückwerfen. Sie müssen Ihre Ermittlungen so unauffällig wie möglich anstellen, obwohl Gerüchte und Spekulationen, wie ich fürchte, sofort die Runde machen werden. Dafür wird schon Ihre bloße Anwesenheit in den Stationen sorgen. Ihre Fragen werden manche Patienten verunsichern. Das ist unvermeidlich. Und auf jeden Fall müssen einige Mitglieder des Personals in gewissem Umfang unterrichtet sein. Leider ist auch das unvermeidlich, und wie sich diese Maßnahme auf Ihre Untersuchung auswirken wird, vermag ich nicht vorherzusagen. Dennoch wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Außerdem werde ich Ihnen eines der Behandlungszimmer im Amherst-Gebäude, also nicht weit vom Tatort, für die von Ihnen für nötig erachteten Gespräche zur Verfügung stellen. Dazu müssen Sie im Vorfeld einer Patientenbefragung lediglich mich oder Mr. Evans von der Pflegestation aus rufen lassen. Ist das akzeptabel?«
    Lucy nickte. »Das leuchtet ein.« Dann fügte sie hinzu: »Danke, Doktor. Ich kann Ihre Bedenken vollkommen nachvollziehen und werde alles daransetzen, eine gewisse Diskretion zu wahren.« Sie hielt inne, als sie klar erkannte, dass früher oder später die gesamte Klinik – oder zumindest alle mit einem ausreichenden Realitätsbezug – begreifen würden, aus welchem Grund sie da war. Und das, wurde ihr bewusst, würde ihre Arbeit umso dringlicher machen. »Ich glaube, es wird auch nötig oder zumindest praktisch sein, dass ich für diesen Zeitraum hier in der Klinik wohne.«
    Der Arzt dachte einen Moment darüber nach. Eine Sekunde lang zeigte sich ein ziemlich niederträchtiges Lächeln um seine Mundwinkel, das er jedoch sofort wieder verbannte. Francis vermutete, dass er es als Einziger gesehen hatte. »Natürlich«, sagte Dr. Gulp-a-pill. »Im Schlaftrakt der Lernschwestern ist ein Zimmer frei.«
    Francis registrierte, dass der Doktor nicht ausdrücklich zu erwähnen brauchte, wer die letzte Bewohnerin dieses Zimmers gewesen war.
     
    Als sie zurückkamen, erwartete sie Newsman im Flur des Amherst-Gebäudes. Er lächelte ihnen entgegen. »Lehrer von Holyoke erwägen neues Gewerkschaftsabkommen«, ratterte er herunter, »
Springfield Union News
, Seite B eins. Hallo, C-Bird, wo treibst du dich rum? Sox vor Wochenendserie gegen Yankees mit Pitcher-Problemen,
Boston Globe
, Seite D eins. Wirst du dich mit Mr. Evil treffen? Der hat nämlich überall nach dir gesucht, und er schien nicht eben glücklich. Wer ist diese Freundin von dir? Sie ist sehr hübsch, und ich würde sie gerne kennen lernen.«
    Damit winkte Newsman Lucy Jones mit einem zarten, schüchternen Grinsen zu und schlug die Zeitung auf, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, um anschließend ein wenig wie ein Betrunkener den Flur entlangzulaufen, während er in das Blatt starrte und sich mit Feuereifer daranmachte, jedes Wort, das er las, auswendig zu lernen. Er kam an zwei Männern vorbei, einer alt, einer in mittleren Jahren, die beide weite Anstaltspyjamas trugen und im vergangenen Jahrzehnt wohl weder Kamm noch Haarbürste angefasst hatten. Beide standen in etwas über einem Meter Abstand mitten im Korridor und redeten leise. Sie schienen in eine Unterhaltung vertieft, bis man bei näherem Hinsehen erkannte, dass jeder von ihnen mit niemandem sprach und gewiss nicht mit seinem Gegenüber aus Fleisch und Blut, dessen Anwesenheit ihnen vollkommen entging.
    Francis dachte einen Moment lang, dass Leute wie diese zwei gleichsam zum festen Inventar der Klinik gehörten, so wie Möbel, Wände und Türen. Cleo nannte die katatonischen

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