Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
sie lähmte und gefangenhielt, als wäre sie unter einer dicken, schwarzen Lehmschicht lebendig begraben. Obwohl die Magusch versuchte, ruhig zu bleiben, regte sich langsam das Entsetzen in ihr. Es gab keinen Ausweg – sie konnte weder sehen noch sich wehren oder um Hilfe rufen. Ist meinem Körper irgend etwas zugestoßen? dachte sie mit zunehmender Panik. Ist so der Tod? Aber sie hatte sich schon früher in das Reich des Todes gewagt und wußte, daß es ganz anders war als dieses Gefühl. Die Verachtung für ihre eigene maßlose Torheit gab ihr mehr Kraft, als alles andere es vermocht hätte. Denk dran, mahnte sie sich mit kalter Entschlossenheit, dies war von Anfang an als schwere Prüfung gedacht. Es ist ein Test, eine Herausforderung; also hör auf, dich so blödsinnig zu benehmen, und stelle dich deinen Aufgaben. Zuerst schien es unmöglich zu sein, die tiefe Schwärze, die sie umfangen hielt, zu erhellen – bis Aurian plötzlich an Chiamh denken mußte. Wo war das Windauge jetzt? Was war aus ihm geworden? Dann aber kamen ihr wieder die Worte in den Sinn, die Chiamh in der Kammer der Winde zu ihr gesprochen hatte: »Du siehst aus wie ein Strom aus Juwelen aus der Edelsteinwüste oder wie Nebel im Sonnenlicht.« Natürlich! dachte die Magusch. Ich kann mich selbst benutzen! Sie dachte an ihre funkelnde, durchscheinende Gestalt, wie das Windauge sie gesehen haben mußte, und ließ all ihre Energie in dieses Bild strömen, versuchte, es deutlicher und heller zu machen.
Nach und nach schienen die schwarzen Gefühle des Elends und der Angst, die die Magusch niedergedrückt hatten, ein wenig in den Hintergrund zu treten. Nach einer Weile erschien ihr auch die körperliche Dunkelheit weniger intensiv. Konnte das funktionieren? Aurian konzentrierte sich auf ihre körperlose Gestalt und rief sich abermals Chiamhs Worte ins Gedächtnis. Sie dachte an das vielfarbige Leuchten der Juwelenwüste; an das Glitzern weißer Brandung; an Sonnenlicht, das sich auf dem Ozean spiegelte; an Sterne in einer frostklaren Nacht; an Mondlicht auf einem Feld jungfräulichen Schnees.
Ja – es funktionierte tatsächlich! Die Entschlossenheit, mit der Aurian das Licht heraufbeschwor, schlug die Dunkelheit ganz allmählich in die Flucht. Sie konnte förmlich sehen, wie die Dunkelheit zurückwich: wie sie vor ihrer strahlenden Gestalt zurückschreckte.
Dann war die Dunkelheit plötzlich vollends vertrieben – und Aurian schrie vor Schmerz auf, als sie von Speeren und Splittern aus schillerndem und in verschiedenen Grüntönen funkelndem Licht wieder und wieder durchbohrt wurde. Es war ihr unmöglich, die Augen zu schließen – und es gab auch keine Möglichkeit, den scharfen Lichtstrahlen zu entrinnen, die sie wie tausend Schwerter durchbohrten. Erst als sie langsam wieder zu Verstand kam und ihr eigenes Leuchten dämpfte, wurde das Licht weicher und wirbelte dann wie glitzernde, grüne Schneeflocken um sie herum.
Endlich konnte die Magusch sich so sehen, wie Chiamh sie gesehen hatte – aber in der Gestalt von Myriaden grüner Lichtreflexe, die sich bis in eine schwindelerregende Unendlichkeit erstreckten. Als es ihr schließlich gelang, die vielen einander widerstreitenden, aufgesplitterten Reflexe zu durchschauen, stellte sie fest, daß sie in einem gewaltigen, hohlen Edelstein zu schweben schien. Und all dieses Grün … Es war, als wäre sie in dem Kristall gefangen, der die Macht des Erdenstabes barg – oder betrachtete sie die Szene durch das unheimliche Medium der Andersicht, und war dieser Ort in Wirklichkeit ein ganz anderer?
Am Rande ihres Gesichtsfeldes schoß plötzlich ein scharlachroter Blitz auf. Aurian fuhr herum und zog einen sonnengleichen, feurigen Komentenschweif hinter sich her. Dann sah die Magusch die rotsilberne Schlange der Macht auf sich zu kommen; das Tier schwamm mit zügiger Behendigkeit durch die schimmernde, grüne Leere. Von der anderen Seite näherte sich auch die Schlange der Weisheit, deren grüngoldene Spuren viel schwerer zu erkennen waren, da sie sich so nahtlos in den smaragdfarbenen Hintergrund einfügten. Aurians Herz machte einen Satz, als sie die beiden Schlangen sah. Zumindest hatte sie sie nicht in der Dunkelheit verloren!
Noch während sie sich fragte, warum die beiden Schlangen sich ihr näherten, schlugen sie zu und senkten ihre Fangzähne in das glitzernde, amorphe Plasma, das die Magusch war. Feuerströme jagten durch Aurians wehende Gliedmaßen bis in den innersten Kern ihres
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