Die Asche der Erde
zuckte die Achseln. »Sie haben die Muskeln, wir können andere nützliche Dinge beitragen. Ich glaube, das nennt man Spezialisierung.«
Hadrian musterte seine Gastgeber. »Die Erstgeborenen haben keine Dampfboote«, stellte er fest.
»Aber sie hacken Holz für sie«, erklärte Nelly. »Die Fischer kaufen gern von uns, denn hier ist es viel billiger als in Carthage.«
»Die Behörden von Carthage würden es verbieten, falls sie davon Wind bekämen.«
»Gouverneur Buchanan ist gegen alles, das nicht seinerspezifischen Weltsicht entspricht«, merkte Kinzler mit seinem schmalen Lächeln an.
»Und das heißt? Dass Sie an einer neuen Weltordnung arbeiten?«
Kinzler, noch immer lächelnd, schob Hadrian die Schüssel mit dem Gemüse herüber.
»Du wirst doch nichts sagen, Hadrian, oder?«, fragte Nelly besorgt. »Wegen dem Holz.«
»Natürlich nicht. Jonah und ich haben den Camps immer nur das Beste gewünscht, das weißt du. Ich finde es nur seltsam, dass ein Fischer das Risiko auf sich nehmen sollte, euch zur Flucht zu verhelfen, bloß weil er billiges Brennholz möchte. Falls Buchanan das wüsste, würde er das Boot beschlagnahmen.«
Shenker hielt seinen Becher Wasser so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. Nelly stocherte auf ihrem Teller herum. »Die Zellentür wurde vor Tagesanbruch geöffnet«, sagte Shenker. »Wir haben nicht gesehen, von wem. Und die Hintertür am Fuß der Treppe war nur angelehnt. Wir haben uns selbst über die Grenze geschlagen. Die Fischer würden niemals riskieren, uns zu helfen.«
Er log, davon war Hadrian überzeugt. Doch warum? Er würde selbstverständlich den Fischer schützen wollen, der sie zurück zu den Camps gebracht hatte. Aber die Flucht aus dem Gefängnis war nicht von einem Fischer veranlasst worden.
Schweigend sah Hadrian die drei nacheinander an und nickte langsam. »Ich habe den Camps immer nur das Beste gewünscht«, wiederholte er.
»Und wie genau helfen Sie uns mit diesem Besuch?«, fragte Kinzler nach einem Moment. Hadrian fiel plötzlich die Frau des Mannes wieder ein. Sie war von einer auszehrenden Krankheit befallen worden, ähnlich wie Lepra, und hattesich bis zu ihrem Tod jahrelang gequält, in einer der Gemeinschaftshütten, mit nichts als einem Lagerfeuer an beiden Enden als einziger Wärmequelle. Nach einem solchen Martyrium musste jemand wie Kinzler tief gezeichnet sein. Hadrian misstraute ihm nicht wegen seines aufgesetzten Lächelns. Er misstraute ihm, weil Kinzler seine Narben nicht zeigte.
»Der Mord an Jonah muss noch aufgeklärt werden.«
»Das Verbrechen ist in Carthage geschehen«, erinnerte Kinzler ihn. »Ich begreife immer noch nicht, welchen Dienst Sie New Jerusalem mit Ihrem Besuch erweisen.«
»Gouverneur Buchanan hat sich bereits auf einen Täter festgelegt. Jede Abweichung wäre eine politische Niederlage. Er wird eine kleine Armee seiner Polizisten schicken, um Nelly zu verhaften.«
»Das kann er gern versuchen!«, rief Shenker.
»All seine Leute werden Schusswaffen tragen.«
Hadrian entging nicht, dass Kinzler und Nelly einen erschrockenen Blick austauschten. »Wir können sie verstecken«, schlug Kinzler vor. »Der Wald ist tief.«
»Die Wahrheit wäre besser«, hielt Hadrian dagegen. »Helfen Sie mir, den wahren Mörder zu finden.«
»Wir wissen nichts.« Kinzler schien zu spüren, dass er das ein wenig zu schnell beteuert hatte. Er zuckte die Achseln. »Die Bürger von New Jerusalem haben kein Interesse, Carthage zur Hand zu gehen.«
»Ich glaube, dass Jonah ermordet wurde, weil er den Camps helfen wollte. Noch am Tag seines Todes hat er mit mir über den Bau einer neuen Brücke und die Lieferung von Getreide gesprochen.«
Kinzler nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. »Vielleicht sollten wir Ihnen mal unsere Friedhöfe zeigen. Zwei Drittel aller Gräber dort sind der Weigerung Ihrer Kolonie zu verdanken, uns beizustehen. Die Menschen mögenkrank gewesen sein, aber gestorben sind sie am Ende an Unterernährung und der Kälte.«
Hadrian wandte sich an Nelly. »Du warst in Carthage, als Jonah umgebracht wurde. Hast du denn gar keine Vorstellung davon, weshalb er dich sprechen wollte?«
»Es ging um Heilung«, erwiderte Nelly, was ihr ein tadelndes Stirnrunzeln von Kinzler einbrachte. »Er war zuversichtlich, dass bald politisches Tauwetter herrschen würde. Er hat sich nach unseren Prioritäten erkundigt, nach dem, was wir zuerst bräuchten, Nahrung oder Kleidung.«
»Wie hat er sich
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