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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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sich hin. Es gab kaum etwas Hoffnungsvolleres als ein frisches, unbeschriebenes Blatt Papier. »Ich dachte, im Norden gäbe es bloß ein paar sich abmühende Fischerdörfer.«
    Nelly zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Sie stand auf, holte den Kessel und füllte ihre Becher nach. »Ich muss wissen, ob du daran glaubst, Hadrian«, sagte sie unvermittelt.
    »Woran?«
    »An unsere Arbeit. An die Zukunft.«
    Die Worte waren schlicht, beinahe töricht, aber sie schnürten Hadrian auf seltsame Weise die Kehle ein.
    Nelly legte einen Moment lang ihre Hand auf seine. Dann erhob sie sich mit aufgeregt funkelndem Blick, gebot ihm mit einer Geste, er möge abwarten, und betrat den zugigen kleinen Raum, der als ihr Schlafzimmer diente. Gleich darauf kehrte sie mit einem sperrigen eckigen Gegenstand zurück, der mit einem Tuch abgedeckt war, und stellte ihn mit verschwörerischem Lächeln vor Hadrian hin.
    »Sie haben das hier mitgebracht, und Kinzlers Werkstatt konnte es reparieren.« Feierlich zog sie das Tuch weg. Dann nahm sie den verschrammten Deckel ab.
    Mit zitternden Fingern streckte er die Hand aus und berührte die alte Schreibmaschine, eines der schwarzen klobigen Reisemodelle aus den 1940ern. Er wollte etwas sagen, doch seine Stimme verweigerte den Dienst. Nelly legte abermals eine Hand auf seine. »Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich hingesetzt und geweint wie ein Kleinkind«, gestand sie. Sie brachte ein Taschenmesser zum Vorschein, schnitt ein Stück von dem Blatt ab, auf dem sie geschrieben hatte, und spannte es in die Maschine ein. Dann gab sie ihm erwartungsvoll einen Wink. »Ich betupfe das Farbband mit Kermesbeertinte«, erklärte sie. »Es müsste möglich sein, aus getränkten Leinenstreifen eigene Farbbänder herzustellen.«
    Hadrian legte die Finger auf die Tastatur und tippte nach kurzem Überlegen acht Worte.
Geh nicht so fügsam in die gute Nacht
.
    Nelly beugte sich über seine Schulter und las mit nachdenklicher Miene. »Es wird sich viel ändern, Hadrian, ich kann es fühlen. Jonah konnte das auch.« Sie tippte eine Zeile hinzu.
Alter soll lodern, wenn der Tag vergeht
.
    Er starrte das Zitat an und musste an das letzte Mal denken, dass er es gelesen hatte. »Wieso erwähnst du Jonah?«
    »Er hat uns diese Worte geschrieben«, sagte sie. »Es war seine Art, uns zu erinnern, uns Mut zu machen.«
    »Er hat sein Alter gespürt.«
    Nelly hielt inne und musterte ihn unschlüssig. »Hadrian, das muss dir doch klar sein. Er hat es nicht auf sich selbst bezogen. Jonah Beck hatte keinen Funken Selbstmitleid im Leib.«
    »Aber das hat der Dichter gemeint. Das Ankämpfen gegen das Altern, gegen den Tod«, erklärte er und las noch einmal die getippten Zeilen. Zum ersten Mal erkannte er, dass man sie auch anders verstehen konnte.
    »Jonah hat nicht das Licht seiner Existenz gemeint, sondern das Licht der Menschlichkeit. Er war der Ansicht, man müsse etwas unternehmen.«
    Hadrian starrte die Worte unverwandt an. Der Schmerz über Jonahs Verlust schien sich nie zu legen, sondern immer nur neue Dimensionen anzunehmen. »Unsere Welt wird nach wie vor durch Carthage bestimmt, Nelly.«
    Sie zog das Stück Papier aus der Maschine und reichte es Hadrian. »Hier bestimmt niemand über uns.«
    »Weil Lucas die Camps für unwichtig hält«, entgegnete Hadrian. »Er ist immer davon ausgegangen, dass sie letztlich aussterben würden.«
    »Falls Carthage unseren Untergang zulässt, gehen die besten Teile von Carthage mit unter. Siehst du das denn nicht?«, fragte Nelly flehentlich. »Das hat Jonah gemeint. Deshalb ist er gestorben.«
    »Auch Buchanan spürt, dass Veränderungen in der Luft liegen. Sogar in der Kolonie denken die Leute ihm allmählich viel zu eigenständig. Er hält dem Rat Vorträge darüber, dass Carthage immer noch verwundbar sei und ständig am Rand des Abgrunds stehe.«
    »Solche Phrasen entsprechen nun mal seinem Naturell. Wir sind der Schatten, der seinem Licht Bedeutung verleiht. Falls es keine reale Bedrohung gäbe, müsste er eine erfinden.«
    Hadrian sah seine Freundin beunruhigt an. »Heißt das, es gibt mittlerweile eine reale Bedrohung?«
    Nelly erwiderte seinen Blick und sagte nichts.
    »Es
wird
sich etwas ändern«, fuhr er fort. »Er hat nach einem Grund gesucht, hart durchzugreifen und sich dadurch mehr Macht zu sichern.« Er wandte verlegen den Blick ab. »Einer seiner Polizisten wurde ermordet, Nelly. In der Nacht, in der ihr geflohen seid.«
    Ihr stockte der Atem. Sie

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