Die Asklepios Papiere (German Edition)
kleinen Eisdiele erstand sie ein überteuertes Eis und beschloss, eine Pause einzulegen.
Über eine steile Treppe gelangte sie jenseits einer ausladenden Steinmauer direkt auf den an der Seine entlang führenden Fußweg. Sie war am westlichen Ende der kleinen Insel und fand sich unvermutet inmitten einer kleinen beschaulichen Grünanlage mit schattenspendenden Bäumen wieder. Eine große alte Eiche lud geradezu zum Verweilen ein.
Da die wenigen Bänke unter dem Baum größtenteils besetzt waren, hatten sich etliche Pärchen einfach auf die Wiese gesetzt oder lehnten entspannt gegen den gewaltigen Stamm, genossen die Atmosphäre, tuschelten miteinander oder küssten sich.
Die vorbeifließende Seine verlieh diesem Ort etwas Idyllisches, das man hier nicht erwartet hätte. Während sie ihr Eis schleckte, fuhr ein Ausflugsboot vorbei. Durch einen Lautsprecher auf dem Oberdeck konnte man hören, wie den Fahrgästen die Il des la Cite nähergebracht wurde. Kinder winkten überschwänglich zu Hannah herüber.
In dem Wissen, dass sie eigentlich an ihrem Buch arbeiten sollte, wuchs in Hannah die Gewissheit, dass sie es Peter und ihrem gemeinsamen Kind einfach schuldig war, herauszufinden, was hier vor sich ging und in welche Probleme Peter verstrickt war. Denn eines schien ihr mittlerweile klar zu sein: Irgendetwas an dieser gesamten Situation stimmte ganz und gar nicht. Wenn sie herausfinden wollte was, führte wahrscheinlich kein Weg am Eiffelturm vorbei. Es blieb ihr wohl oder übel nichts anderes übrig, als zu überprüfen, ob Peter dort irgendwo einen Hinweis versteckt hatte, der zur Entschlüsselung seiner E-Mail beitrug.
Nachdem sie ihr Eis aufgegessen hatte, machte sich Hannah also auf den Rückweg zur einzigen Metrostation der Insel.
Kurz darauf saß sie in der Linie 10, die sie direkt bis zum Eiffelturm bringen würden.
N ach nicht einmal zwanzig Minuten fuhr die Met , wie die Metro von den Einheimischen genannt wurde, in den Bahnhof Champ de Mars / Tour Eiffel ein. Hier war es deutlich voller, als an allen anderen Haltestellen, an denen Hannah bisher gewesen war. Touristen, Tagesausflügler, Erwachsene, Kinder - hier wimmelte es von Menschen, die sich durch die engen Röhren ihren Weg nach oben bahnten, um zu einem der beliebtesten Ausflugsziele von ganz Paris zu gelangen.
Hannah verspürte auf einmal eine unangenehme Ambivalenz. Einerseits war sie beunruhigt ob der Umstände, die sie hierher geführt hatten, andererseits fühlte sie aber auch so etwas wie Vorfreude, den Eiffelturm wiederzusehen. Diesen Koloss aus Eisen und Stahl, der in den Himmel ragte und zu rufen schien Ich bin Paris .
Am Eiffelturm hatte ihre Beziehung mit Peter damals begonnen. Eine seltsame Laune des Schicksals führte sie nun nach deren Ende erneut hierher. Bei einem ganz normalen Städtetrip hätte sich Hannah jetzt einfach auf eine Bank in den herrlichen Jardins d´Eiffel gesetzt, das schöne Wetter und die Aussicht genossen und sich für ihren Roman inspirieren lassen. Doch unter diesen Umständen...
Sie schlängelte sich vorsichtig durch die Menschenmassen und vermied es tunlichst, einen Ellenbogen in den Bauch gestoßen zu bekommen. Am Ausgang der Metro standen zu ihrer Überraschung bewaffnete und uniformierte Wachposten. Seit den Terroranschlägen von London 2005 war scheinbar auch hier die Sicherheitsstufe erhöht worden.
Der Anblick des Eiffelturms war einfach atemberaubend. Das über dreihundert Meter hohe Monument der Weltausstellung von 1889 ragte majestätisch in den blauen Himmel. Hannah hatte ganz vergessen, wie beeindruckend das ehemals höchste Bauwerk der Welt war.
In endlos langen Schlangen warteten Touristen begierig darauf, den Eiffelturm besteigen zu können. Auf dem großen Platz unter dem Bauwerk patrouillierten bewaffnete Militärs in zweier Teams. Auf großen weißen Schildern wurden die Besucher vor Taschendieben gewarnt, was Hannah dazu bewog, ihre Handtasche über den Kopf zu ziehen und festzuhalten. Ohne nachzudenken stürzte sie sich ins Getümmel.
Es war ein merkwürdiges Gefühl unter die vier gigantischen Stahlpfosten zu treten und zu wissen, dass mehrere tausend Tonnen Stahl über ihr schwebten. Genau unter der Mitte blieb sie stehen. Hier war allerlei Volk versammelt. Bettler zogen umher und hielten den Besuchern Pappbecher unter die Nase, Straßenkünstler aller Couleur saßen auf Campingstühlen vor kleinen Staffeleien und zeichneten Porträts von fragwürdiger Qualität und
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