Die Asklepios Papiere (German Edition)
hatte, war er ihr unentdeckt von der Metro bis zur Universität und von dort wiederum zu dieser Absteige von einer Studentenbude gefolgt.
Egal ob sein Malheur sich nunmehr als glücklicher Zufall herausgestellt hatte, oder nicht - er ärgerte sich dennoch, dass seine Zielperson den Anschlag in der Metro überlebt hatte. Wenn er sich diesen Fauxpas damals in der Banlieue geleistet hätte, wäre der große Chinois schnell selbst zum Opfer geworden. Fehler wurden bei den französischen Triaden nicht toleriert. Zum Zeichen seiner Unterwerfung und seines Flehens um Vergebung hatte sich Chinois damals gegenüber seinem Drachenkopf, dem großen Anführer seines Clans, sogar das letzte Glied seines linkes kleinen Fingers abtrennen müssen, weil er sich bei der Enthauptung des Mitglieds einer gegnerischen Triade ungeschickt angestellt und zwei statt nur eines Schwerthiebs benötigt hatte. Yubitsume hieß diese traditionelle Buße der Triaden. Ein Ritual, das noch aus der Zeit der Schwertkämpfe stammte und dazu führte, dass beinahe kein Clanmitglied mehr alle zehn Finger besaß.
Das Leben als Polizist mit Nebenjob war da doch um einiges angenehmer, sinnierte Luc und biss in einen Hamburger, den er sich vor seiner Observierung noch schnell besorgen konnte.
Er hatte für seinen weiteres Vorgehen keinen genauen Plan. Er würde hier einfach abwarten, bis die Deutsche die Wohnung irgendwann wieder verließ und ihr dann solange folgen, bis sie ihn geradewegs zu den versteckten Unterlagen führte. Wenn sie es bisher noch nicht gemacht hatte, würde sie bestimmt gerade dort oben in der Wohnung sitzen und diese gottverdammte Datei öffnen. Und auch wenn Ginster nicht schlau wurde aus alledem, würde sie die kryptischen Hinweise ihres Verlobten bestimmt richtig deuten. Er verwettete ein weiteres Fingerglied darauf, dass sie ihn zu den versteckten Unterlagen führen würde.
Um während seiner vermutlich noch recht lange andauernden Observation arbeitstechnisch nicht in Schwierigkeiten zu geraten, hatte er seinem Partner im Büro vorhin erzählt, dass er im Auftrag von ganz oben an einem geheimen Undercover-Einsatz gegen einen Menschenhändlerring teilnehmen müsse. Hierdurch würde er zumindest für die nächsten vierundzwanzig Stunden etwas Ruhe vor seinen Kollegen in der Präfektur haben.
N ach einer ausgiebigen Dusche verzog sich Hannah Bachmayer schnell in Peters Zimmer. Nur mit einem Handtuch bekleidet huschte sie durch den Flur. Von Lennard war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Unsicher blickte sie sich in dem fremden Zimmer um und erkannte erstaunlich viele Gegenstände aus ihrer ehemaligen gemeinsamen Wohnung wieder: Den gläsernen Schreibtisch, den antiken Kleiderschrank von Peters Oma, einige Bücher und Peters heiß geliebten Cross-Trainer. Dennoch fühlte sie sich, als wäre sie in dem Zimmer eines Fremden. Auf dem Nachttisch stand ein Foto von Chiara Thékla, seiner neuen Freundin. Erstaunt und auch etwas gerührt fiel ihr Blick aber auf ein kleines gerahmtes Foto in einem Bücherregal. Es war dasselbe Foto von Peter und ihr, das auch an ihrer Pinnwand zu Hause hing; jenes von der Halloween Party, auf der sie beide sich kennengelernt hatten. Unwillkürlich spürte sie, wie ihr eine Träne übers Gesicht lief.
Da sie vorhin vergessen hatte, sich neue Kleidung mit ins Bad zu nehmen, stand sie nun in ein knappes blaues Handtuch gewickelt vor Peters Kleiderschrank. Die nackten Füße hinterließen feuchte Spuren auf dem hellen Laminat. Da sich ihr gesamtes Gepäck im Hotelzimmer befand, musste sie sich irgendwie mit Peters Garderobe behelfen.
Im Kleiderschrank fand sie schnell ein Unterhemd und eine Boxer-Shorts. Da sie aber nicht einmal annähernd Peters Figur besaß, spannte das Shirt über ihren Baby-Bauch und die Unterhose rutsche ihr beinahe von den Hüften. „Besser als nichts“, seufzte Hannah und ging zum Bett.
Eigentlich fühlte sie sich todmüde, doch als ihr Blick auf Peters Computer fiel, konnte sie einfach nicht widerstehen. Vielleicht fand sie ja zufällig einen Hinweis, der etwas Licht in die Geschichte bringen konnte. Vielleicht hatte er ja sogar die gesamten Informationen hier gespeichert.
Hannah setzte auf den ledernen Drehstuhl und schaltete den Computer an. Nach wenigen Sekunden erschien auf dem Monitor der Startbildschirm. Glücklicher Weise nutzte Peter noch immer nicht die Möglichkeit, den Zugriff mit einem Passwort zu schützen, sodass Hannah ungehinderten Zugriff
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