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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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ging er in den Garten hinaus, auf der anderen auf den Kanal, und jetzt war er nur von der kleinen Lampe erleuchtet, die man dort immer für mich brennen ließ, damit ich sie mitnehmen konnte, wenn ich hinauf in mein Bett ging. Unmittelbar daneben stand auf dem Tisch eine ausgelöschte Kerze, die Miss Tina offenbar mit heruntergebracht hatte. »Gute Nacht, gute Nach t !« erwiderte ich und blieb an ihrer Seite, als sie zu ihrer Kerze ging und sie entzündete. »Sie wüssten es bestimmt, wenn sie eines besäße, nicht wah r ?«
    »Wenn sie was besäß e ?« fragte die Arme und warf mir über die Flamme ihrer Kerze hinweg einen sonderbaren Blick zu.
    »Ein Bildnis von dem Gott. Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich dafür geben würde, wenn ich es sehen dürfte.«
    »Ich weiß nicht, was sie besitzt. Sie hält ihre Dinge unter Verschluss.« Und mit dem deutlichen Gefühl, zuviel gesagt zu haben, wandte sich Miss Tina ab und ging auf die Treppe zu.
    Ich ließ sie gehen – ich wollte sie nicht ängstigen – und begnügte mich mit der Bemerkung, dass Miss Bordereau ein so herrliches Besitzstück sicherlich nicht weggeschlossen hätte: einen Gegenstand, den zu besitzen man stolz wäre und den man an gut sichtbarer Stelle im Salon aufhängen würde. Aufgrund dessen konnte sie kein Bild von ihm besitzen. Miss Tina antwortete darauf nicht sofort und stieg, mit der Kerze in der Hand und dem Rücken mir zugewandt, zwei oder drei Stufen hinauf. Dann blieb sie plötzlich stehen, drehte sich herum und schaute durch den dunklen Raum zu mir herüber.
    »Schreiben Sie – schreiben Si e ?« In ihrer Stimme lag ein Zittern – sie konnte kaum ein Wort herausbringen.
    »Ob ich schreib e ? Bitte sprechen Sie nicht im selben Atemzug mit Aspern von meinem Schreibe n !«
    »Schreiben Sie über ihn – schnüffeln Sie in seinem Leben heru m ?«
    »Ich bitte Sie, diese Frage stammt von Ihrer Tante; sie kann nicht von Ihnen komme n !« sagte ich in einem Ton, der leichte Kränkung verriet.
    »Umso mehr Grund für Sie, mir darauf zu antworten. Bitte, wollen Sie so freundlich sei n ?«
    Ich dachte, ich hätte mir zugestanden, auch Unwahrheiten als Ausreden zu benutzen, doch als ich nun in die Situation kam, merkte ich, dass dies nicht der Fall war. Zumal ich es nun, da ich einen Zugang zu ihr gefunden hatte, auch als Erleichterung empfand, aufrichtig zu sein. Im Grunde vermutete ich – es war vielleicht verrückt oder sogar töricht –, dass mir Miss Tina in letzter Konsequenz nicht weniger gewogen sein würde. Darum antwortete ich nach einem Augenblick des Zögerns: »Es stimmt, ich habe über ihn geschrieben und bin auf der Suche nach weiterem Material. Um Himmels willen, verfügen Sie über irgendetwa s ?«
    » Santo Di o ! « rief sie aus, ohne meine Frage zu beachten; und schon eilte sie die Treppe hinauf und verschwand. Vielleicht konnte ich als letzten Ausweg auf sie zählen, doch gegenwärtig war sie sichtlich verschreckt. Als Beweis dafür begann sie erneut, sich versteckt zu halten, sodass ich sie zwei Wochen lang nicht zu Gesicht bekam. Allmählich ging meine Geduld zu Ende, und nachdem weitere vier oder fünf Tage verstrichen waren, wies ich den Gärtner an, die »Blumengrüße« einzustellen.

VI

    Endlich traf ich sie eines Nachmittags, als ich von meinen Wohnräumen nach unten stieg, um auszugehen, in der Empfangshalle an; es war unsere erste Begegnung in diesem Raum, seit ich in das Haus eingezogen war. Sie erweckte nicht den Eindruck, als sei sie zufällig dort; in ihrer ehrlichen, linkischen Schüchternheit war ihr eine solche Verstellungskunst fremd. Damit ich sogleich versichert wäre, dass sie mich erwartete, erwähnte sie dies als Erstes, teilte mir aber gleichzeitig mit, dass Miss Bordereau mich zu sehen wünschte: Sie würde mich sofort in ihr Zimmer begleiten, sofern ich Zeit hätte. Selbst wenn ich schon mit Verspätung auf dem Weg zu einem Liebesstelldichein gewesen wäre, für diese Gelegenheit hätte ich alles stehen und liegen lassen, und schnell gab ich ihr zu verstehen, dass ich entzückt wäre, meiner Wohltäterin meine Aufwartung zu machen. »Sie möchte mit Ihnen sprechen – Sie kennen lernen«, sagte Miss Tina und lächelte dabei, als fände sie selbst Gefallen an dieser Vorstellung; dann begleitete sie mich zu der Tür, die zu den Räumen ihrer Tante führte. Kurz bevor sie die Tür öffnete, trat ich ihr in den Weg und sah sie forschend an. Dies sei eine große Genugtuung für mich, sagte ich zu ihr, und

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