Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
Vom Netzwerk:
eine große Ehre; dennoch wüsste ich gern, was Miss Bordereau dazu bewogen habe, einen so plötzlichen und so entschiedenen Sinneswandel zu bekunden. Es sei doch noch nicht lange her, da habe sie mich nicht in ihrer Nähe dulden wollen. Meine Frage brachte Miss Tina nicht in Verlegenheit; sie verfügte über so viele Momente unerwarteter Gemütsruhe, so unerwarteter Glaubwürdigkeit, fast als tischte sie Lügen auf, doch das Verrückte daran war, dass diese ganz im Gegenteil ihren Ursprung in ihrer Wahrheitsliebe hatten. »Oh ja, meine Tante ändert ihren Sinn«, antwortete sie. »Es ist so schrecklich eintönig – ich vermute, sie ist dessen müde.«
    »Aber Sie haben mir doch gesagt, sie wolle immer häufiger allein sein.«
    Die arme Miss Tina errötete, als sei ich ihr zu aufdringlich erschienen. »Na gut, wenn Sie nicht glauben, dass sie Sie sehen möchte, dann habe ich es eben erfunde n ! Mir scheint, Menschen sind oft launisch, wenn sie sehr alt sind.«
    »Da haben Sie völlig recht. Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie ihr gegenüber wiederholt haben, was ich Ihnen neulich erzählt habe.«
    »Was Sie mir erzählt habe n !«
    »Über Jeffrey Aspern – dass ich auf der Suche nach Material bin.«
    »Wenn ich ihr das erzählt hätte, glauben Sie, sie hätte Sie dann zu sich gebete n ?«
    »Genau das wollte ich wissen. Wenn Sie ihn ganz für sich behalten möchte, hat sie mich vielleicht hergebeten, um mir das mitzuteilen.«
    »Sie wird nicht über ihn sprechen«, sagte Miss Tina. Dann öffnete sie die Tür und fügte mit leiserer Stimme hinzu: »Ich habe ihr nichts gesagt.«
    Die alte Frau saß an derselben Stelle, an der ich sie beim letzten Mal vorgefunden hatte, in derselben Haltung, mit demselben verklärenden Schirm über den Augen. Ihre Begrüßung bestand darin, dass sie mir ihr fast völlig verdecktes Gesicht zuwandte und mir zeigte, dass sie mich deutlich sah, während sie schweigend dasaß. Ich machte keine Anstalten, ihr die Hand zu reichen; mir war inzwischen völlig bewusst, dass diese Geste hier nicht und niemals am Platze war. Man hatte mir ausreichend eingeschärft, sie sei zu ehrwürdig, um sie zu berühren. Wie ich so vor ihr stand und sie mich musterte, lag etwas so Grimmiges in ihrer Erscheinung – das mag auch an ihrem grünen Augenschirm gelegen haben –, dass ich auf der Stelle davon überzeugt war, sie hege tatsächlich irgendeinen Argwohn gegen mich, während ich meinerseits nicht den geringsten Verdacht hegte, Miss Tina könnte mich verraten haben, vielmehr muss es der grüblerische Instinkt der alten Frau gewesen sein, der ihr zu einer solchen Einsicht verholfen hatte; in den langen, stillen Stunden hatte sie mich von allen Seiten durchleuchtet und ihre Vermutungen angestellt. Das Schlimmste daran war, dass sie ganz schrecklich nach einer alten Frau aussah, die notfalls auch, ganz wie Sardanapal, ihre Schätze verbrennen würde. Miss Tina schob einen Stuhl weiter vor und sagte zu mir: »Dies ist der richtige Platz für Sie, setzen Sie sich doch.« Ich nahm dort Platz und fragte nach Miss Bordereaus Befinden; ich gab meiner Hoffnung Ausdruck, dass es trotz der großen Hitze zufriedenstellend sei. Sie antwortete, es ginge ihr recht gut – recht gut; es sei großartig, am Leben zu sein.
    »Oh, was das betrifft, hängt es davon ab, mit was Sie es vergleiche n !« erwiderte ich mit einem Lachen.
    »Ich vergleiche überhaupt nicht, ich vergleiche nicht. Wenn ich das täte, dann hätte ich schon längst alles hingeworfen.«
    Ich wertete dies als eine subtile Anspielung auf das Entzücken, das sie in Jeffrey Asperns Gesellschaft kennen gelernt hatte – obgleich eine solche Anspielung, das musste ich mir eingestehen, nur schlecht mit dem Wunsch in Einklang zu bringen war, den ich ihr unterstellte, dass sie ihn in ihrem Herzen begraben halten wollte. Es stand hingegen mit meiner unerschütterlichen Überzeugung in Einklang, dass kein Mensch je eine glücklichere Begabung zum geselligen Umgang besessen habe als er, und damit war offenbar gemeint, dass nichts in der Welt so sehr zum Gesprächsstoff taugte, sofern man sich überhaupt gestattete, darüber zu sprechen. Aber man gestattete es sich nich t ! Miss Tina nahm neben ihrer Tante Platz und schaute drein, als habe sie Grund zu der Annahme, es werde sich eine wunderbare Unterhaltung zwischen uns entspinnen.
    »Es ist wegen der schönen Blumen«, sagte die alte Dame; »Sie haben uns so viele geschickt – ich hätte Ihnen schon längst

Weitere Kostenlose Bücher