DIE ASSASSINE
Marmorboden bis zur Decke. Weitere vier Säulen standen auf der gegenüber liegenden Seite. Schatten füllten die Nischenhinter sämtlichen Säulen. In der Mitte zwischen den beiden Säulenreihen verlief ein breiter Gehweg, der zu zwei großen, mit Metall beschlagenen Holztüren führte.
Vorne konnte ich in Höhe eines Podiums die Seite eines von Fackellicht erhellten Thrones erkennen. Der Thron war auf den Gehweg und die Doppeltüren gerichtet.
Der Geisterthron.
Ich schauderte, blinzelte im Dämmerlicht und versuchte, meine Aufmerksamkeit auf den Thron zu bündeln, doch meine Augen wollten nicht zur Ruhe kommen; die Luft wirkte irgendwie verzerrt. Nach einer Weile erkannte ich, dass es nicht an meinen Augen lag, sondern am Thron selbst.
Es handelte sich um eine schlichte Steinplatte ohne Rückenlehne und mit vier Stützen, einer an jeder Ecke. Doch selbst während meine Augen sich an dieses Bild klammerten, schien es zu wabern, sich zu verziehen. Ein Bein schien plötzlich kürzer zu sein, zugleich aber eine Ecke zu tragen, die höher aussah als die anderen. Der Thron verbog sich, krümmte sich. Die Steinplatte, die den Sitz bildete, war mit einem Mal nicht mehr flach, sondern gewölbt. Die Ränder, die zuvor scharfkantig gewirkt hatten, mit klaren Umrissen, sahen nun glatt und abgerundet aus. Dann vollzog sich eine neuerliche Veränderung, und der Thron wandelte sich zu schroffem, gemeißeltem, grob behauenem Stein.
Die Bewegung drehte mir den Magen um und sandte eine fiebrige Hitze durch meine Haut. Ich schauderte abermals und wandte mich vom Thron ab, vom Podium und den drei breiten Steinstufen, die vom Gehweg zwischen den Säulen zum Thron hinaufführten.
Ich holte tief Luft, um mich zu fassen.
Und spürte, wie der Thron sich hinter meinem Rücken nach mir ausstreckte, wie er gegen meine Schultern drückte, als besäße er einen Körper. Das Rascheln von Laub setzte wieder ein, zuerst zittrig und leise, dann immer lauter, während sich mir dieNackenhaare aufrichteten. Die Stimmen lösten sich aus dem Rascheln, riefen mich, hallten in meinen Ohren wider.
Voller Grauen erstarrte ich. Die Stimmen kamen vom Thron. Der Thron kannte mich. Er hatte bereits zuvor versucht, mich zu rufen – und jetzt rief er mich wieder.
Und dabei hatte ich den Fluss gar nicht berührt, seit die Stimmen mich in den Schrank getrieben hatten.
Ich trat zurück und versuchte, die Stimmen abzublocken.
Dann hörte ich die Wachen auf der anderen Seite der Tür im Gang hinter mir. Ihre Rüstungen rasselten und klirrten.
Ohne auf den Thron zu blicken, rannte ich nach rechts, den langen Gehweg entlang zwischen den Säulenreihen hindurch, dann durch den halbdunklen Raum zum Haupteingang. Ich spürte den Thron hinter mir als heißen, stechenden Druck im Rücken, der fließend von einer Form zur nächsten überging, verzerrt und voller Qual. Ich hörte, wie er mich rief, wobei die Stimmen immer drängender und verzweifelter wurden.
Ich keuchte, als ich mich dem Eingang näherte, durchquerte ihn und gelangte in den leeren Gang. Erleichterung überkam mich, als ich spürte, wie die Tür aus Eichenholz mit einem dumpfen Pochen hinter mir zufiel und sowohl die Stimmen als auch das Gefühl tastender Hände auf meinem Rücken aussperrte.
Einen Augenblick lang lehnte ich mich gegen die Tür, während ein Zittern meinen Körper durchlief. Schweiß rann mir übers Gesicht, und ich wischte ihn mit dem Handrücken ab. Mein Herz klopfte rasend schnell. Tief und abgehackt holte ich Luft, versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Es dauerte länger, als ich erwartet hatte.
Dann richtete ich mich auf und verdrängte das schaurige Gefühl des Thrones, der Stimmen und ihrer gewaltigen Macht.
Ich hatte den Rand der persönlichen Gemächer der Regentin erreicht. Es wurde Zeit, die Verkleidung als Pagenjunge abzulegen. Es war beinahe vollbracht.
Mein Blick wurde hart, und mit entschlossener Miene schritt ich den unbewachten Gang zu weiteren Doppeltüren hinunter, den letzten Doppeltüren.
Ich zückte den Dolch.
E LFTES K APITEL
D er Name des Händlers mit der senffarbenen Jacke ist Alendor«, sagte Borund und sank zurück in den Stuhl, den er in Williams Zimmer gebracht hatte. »Criss ist sein jüngster Sohn. Und wenn Alendor in die Angelegenheit verwickelt ist …«
Er ließ den Satz unvollendet. Es war später Vormittag an dem Tag, nachdem ich Carl getötet hatte, und ich hatte gerade berichtet, was ich in Carls Haus gehört hatte und dass Criss von
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