DIE ASSASSINE
ich, wie er sich verlagerte und wie die Personen, die eine mögliche Bedrohung für Borund verkörperten, in den Vordergrund rückten, während die Leute, die mir selbst gefährlich werden konnten – die Gardisten, Männer mit sichtbaren Waffen –, größtenteils in den Hintergrund wichen und zu einem ausgebleichten Rot verblassten.
Ich ging dazu über, zu beobachten.
Wir gelangten auf eine breite, belebte Straße und reihten uns in die Schlangen ein, die sich auf den Palast zubewegten. Der Lärm nahm zu. Pferde wieherten, Marktschreier boten lauthals ihre Waren feil, Männer fluchten. Das Gedränge von Tieren und Menschen – es gab hier viel mehr Pferde, als ich gewohnt war – zwang mich, mich enger an William und Köte zu halten und fast die Flanke des Pferdes zu berühren. Weiter vorne konnte ich die erste Mauer sehen, einen zur Straße offenen Torbogen. Als wir uns ihm näherten, wurde das Gedränge der Leiber so beengend und erstickend wie in der Schänke. Das Hintergrundgeräusch unter dem Fluss wurde ohrenbetäubend, und ich spürte, wie mir die Herrschaft darüber zu entgleiten begann, wie mir Schweiß auf dem Rücken und in den Achselhöhlen ausbrach, wie mein Atem schneller ging.
Dann waren wir durch das Tor hindurch und vorbei an der Mauer. Die Menge blieb hinter uns zurück und lichtete sich rasch.
Weder Borund noch William schienen etwas davon zu bemerken; sie setzten ungerührt den Weg zur zweiten Mauer fort. Ich hingegen stieß den Atem aus und versuchte, mich zu beruhigen. Mein Herz pochte noch immer heftig in der Brust.
»Das ist der äußere Kreis«, erklärte William und deutete auf die Gebäude ringsum, »oder besser, das äußere Oval. Hier wohnen die meisten Händler zusammen mit einigen der höchstrangigen Gardisten und Schiffskapitänen. Leute mit Macht und Einfluss. Es ist eine begehrte Wohngegend, weil sie nahe am Palast liegt; so hat man es nicht weit, wenn man mit Avrell sprechen muss, dem Oberhofmarschall der Regentin, oder mit der Regentin selbst, was aber seltener der Fall ist. Meist geht es dabei um Belange des Handels, oder wie sie sich auf die Stadt oder unsere Beziehungen zu umliegenden Küstenstädten auswirken könnten. Außerdem ist es nicht weit zu den Gildenhallen im mittleren Kreis und zum Kai und dem Lagerhausviertel unten im Hafen. Borund könnte hier leben, wenn er wollte, aber er war immer der Meinung, dass es ihn zu sehr von den normalen Menschen entfremden würde. Darum zieht er es vor, unten in der Stadt zu wohnen. Er ist in der Nähe des Kais aufgewachsen und hat sein Handelshaus mit Fleiß und harter Arbeit aus dem Nichts aufgebaut.« William hatte sich im Sattel aufgerichtet und beobachtete die vorüberziehenden Gebäude mit einer seltsamen Hoffnung in den Augen. Wie zu sich selbst sagte er leise: »Ich hingegen möchte eines Tages hier leben.«
Ich sah mich um und runzelte die Stirn. So nahe an der Hauptstraße standen die Gebäude sehr dicht beisammen, fast so dicht wie am Siel, und über den Türen befanden sich bemalte Schilder, allesamt mit Zeichen, die für mich keine Bedeutung hatten. Zwei gekreuzte Schwerter auf einem, ein Dreimasterschiff auf einem anderen. Auf einem weiteren Schild waren drei verschnörkelte Linien zu sehen, die an Wellen erinnerten. Durch die Fensterscheiben konnte ich vorwiegend leere Räume sehen, deren einzige Einrichtung aus Schreibpulten, Stühlen und hohen Arbeitsplatten bestand. Regale säumten die Wände, vollgepackt mit Statuen und Pflanzen, so wie die Regale in Borunds Gemach. Hier und da sah ich große Säcke und Fässer. Auf den meisten Schreibpulten lagen Berge von Papier.
Hier und da war ein leer stehendes Gebäude mit geschlossenen Türen und brettervernagelten Fenstern zu sehen. Diese leeren Gebäude jagten mir einen kalten Schauder über die Schultern, als hätte jemand mir eisigen Atem in den Nacken gehaucht.
Die Gebäude erinnerten mich an den Siel. Ja, so musste der Siel einst ausgesehen haben – die Häuser unversehrt, die Straßen voller Händler und Kunden. Doch nun begannen auch diese Straßen hier zu verfallen. Die leeren Geschäfte waren nur das erste äußere Anzeichen für den Niedergang.
»Hier gibt es nichts zu kaufen«, stellte ich fest und bezog mich damit auf die leeren Geschäfte und Läden, doch William schien sie gar nicht zu bemerken, schien sie nicht einmal zu sehen. Ohne mich anzublicken, lächelte er. »Oh, da täuschst du dich. Amenkor ist gewissermaßen der Marktplatz der
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