Die Attentäterin
Unternehmen eine große Hilfe gewesen wäre, aber sie benutzt Decker nur dann, wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt. Decker gehören in diejenige Kategorie von Personen und Dingen, die sie für pervers hält. Sein Bewußtsein in die elektronischen Gefilde des globalen Computernetzes zu projizieren, ist pervers. Tiere besitzen fleischliche Körper, weil es ihnen bestimmt ist, in einer Welt aus Fleisch und Blut zu leben. Fleisch und Blut wie ein Werkzeug aufzugeben, das nicht mehr gebraucht wird, kommt ihr grotesk vor. Sie mißtraut jedem, der das tut, nämlich allen Deckern, und zwar fast ebensosehr, wie sie allen Magiern mißtraut.
Sie mißtraut auch Computern, ganz allgemein.
Außerdem ist da noch die Tatsache, daß ein Decker mehrere Tausend Nuyen verlangen würde, um auf elektronischem Wege das zu tun, was sie soeben mit ein paar Werkzeugen in ein paar Sekunden erreicht hat. In dieser Phase ihres Unternehmens kann sie sich sowohl die Zeit als auch die Mühe sparen.
Sie geht die Treppe hinauf.
Das Unerwartete geschieht, als sie sich dem Absatz im zweiten Stock nähert. Plötzlich fliegt die Tür zum Treppenhaus auf, und ein magerer Jugendlicher in T-Shirt und Jeans betritt es. Er scheint Tikki nicht zu bemerken, bis er die Hand auf das Geländer legt und die Treppe herunterläuft, direkt auf sie zu. Er wirft einen flüchtigen Blick auf sie, wobei er keine Miene verzieht. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, poltert er direkt an ihr vorbei.
Nichts davon kann Tikki täuschen. Die körperliche Reaktion des Jungen auf ihren Anblick erfolgt augenblicklich und ist äußerst vielsagend. Der Geruch, der plötzlich in der Luft liegt, schreit förmlich nach Überraschung und eisiger Furcht. Der junge Bursche weiß, daß etwas nicht stimmt. Ihrer schwarzen Skimaske und der Ausrüstung an ihrem Gürtel muß er entnommen haben, daß Ärger im Verzug ist. Das zwingt sie zu einer Reaktion.
Adama wäre sehr unzufrieden, wenn sie dieses Jungtier am Leben ließe und damit ihren Auftrag in Gefahr brächte. Ihr Auftrag lautet auf maximale Zerstörung, und nur ihr eigenes Überleben hat einen höheren Stellenwert als das. Sie stellt den Matchbeutel auf der Treppe ab und springt dann mit einem Satz auf den nächsttieferen Treppenabsatz. Der Junge dreht sich um, schaut mit weit aufgerissenen Augen zu ihr hinauf und erfüllt die Luft mit seinem Entsetzen, während sie sich auf ihn stürzt.
Es ist rasch vorbei. Sie schleudert ihn mit dem Rücken gegen die Treppenhauswand und preßt den linken Unterarm auf seine Kehle. Auf eine präzise Bewegung ihrer rechten Faust hin schnellt ein biegsamer schwarzer Dom aus der Scheide an ihrem rechten Unterarm. Die Beute erkennt, was kommt, und überflutet die Luft mit dem Gestank ihrer Exkremente. Tikki bleckt die Zähne, unterdrückt ein Knurren und treibt den Dorn durch die Kehle bis ins Hirn.
Der Tod tritt sofort ein.
Tikki geht zurück zu ihrem Matchbeutel, hebt ihn auf und geht weiter die Treppe hinauf. Zwölf Treppen oder gar fünfzig oder hundert - mit gelegentlichen Pausen, um zu lauschen oder die Luft zu prüfen - zu erklimmen, ist kein Problem. Sie ist in ausgezeichneter Verfassung, immer schon gewesen. Tikki kann sich bis zum Punkt des völligen Zusammenbruchs verausgaben, bevor sich die Erschöpfung bemerkbar macht. Ihre Mutter konnte das ebenfalls.
Als sie sich dem Absatz zur vierzehnten Etage nähert, nimmt die Luft ein Aroma nach Zigarettenrauch an. Ein subtilerer Duft erinnert an Soykaf. Sie bleibt stehen und fragt sich, was das zu bedeuten hat, aber als nichts geschieht, betritt sie den Treppenabsatz.
Sie stellt den Matchbeutel ab und geht zur Treppenhaustür. Ungefähr in Augenhöhe ist ein kleines verstärktes Transparex-Fenster in die Tür eingelassen. Sie stellt sich mit dem Rücken rechts neben das Fenster und hebt dann einen kleinen geschwärzten Spiegel bis unter die linke Fensterecke. Als der Winkel stimmt, kann sie im Spiegel einen Blick durch das Fenster in den dahinterliegenden Flur werfen. Das geschwärzte Glas minimiert die Chancen, daß der Spiegel Licht reflektiert und dadurch auffällt. Der Blick auf den Flur beantwortet die Fragen, die ihr Geruchssinn aufgeworfen hat. Am Ende des Flurs, der vielleicht dreißig Meter lang ist, befinden sich zwei übergroße Männer in Anzügen. Einer auf der linken Seite, der andere auf der rechten. Sie stehen Wache, vermutet Tikki. Zumindest ist das wohl die Idee, die dahintersteckt. Ein Wächter hält eine
Weitere Kostenlose Bücher