Die Aufrichtigen (German Edition)
Freude auf ein Wiedersehen vergebens ist. Es wird alles auf Dich deuten, Bruder, und es ist gut, wenn Du für meinen Tod zur Rechenschaft gezogen wirst. Denn Du hast mich ja wirklich getötet. Du bist ein Mörder! Du bist ihr Mörder, Konstantin Spohr!
»Genug, genug!«, schrie der Pater noch einmal und stürzte zu Boden.
Die anderen standen erschüttert um ihn herum. Sophie drückte Leos Hand.
»Oh mein Gott, er hat es selbst getan.«
»Tja«, sagte der Kommissar, »für diese Art von Mord sind wir wohl nicht zuständig.«
»Soll das heißen, dass alles umsonst war? Gibt es am Ende gar kein falsches Gutachten?«
Dr. Albertz war aufgestanden und zu den anderen getreten. Er sah auf den am Boden knienden Pater herab.
»Umsonst?«, rief Sophie, »Sagten Sie wirklich umsonst?«
»Lass ihn«, bat Leo. »Er hat ganz schön was abbekommen.«
»Nein, Herr Blum«, entgegnete Dr. Albertz mit einem seltsamen Klang in der Stimme, »es ist ganz recht, dass sie das sagt. Ich habe damals wirklich in Kauf genommen, ach was, ich habe gewusst, dass Konstantin die Kirchenstrafe haben wollte. Aber ich brauchte diesen Vergleich unbedingt. Es war meine große Chance. Nur weil mir selbst der Glaube nichts bedeutet, weil ich selbst über die Religion lache, hätte ich mich nicht über seinen Glauben hinwegsetzen dürfen.«
»Dr. Albertz, hören Sie auf«, unterbrach ihn Leo. »Sie brauchen einen Arzt.«
»Ach, Leo«, wehrte Dr. Albertz ab, »Sie wollen um jeden Preis einen guten Menschen in mir sehen. Das bin ich nicht. Achten Sie auf sich, dass nicht auch Sie Ihre Unschuld verlieren. Es gibt dann kein Zurück mehr. Wir sind alte Männer, wir werden von der Erde verschwinden, weil wir unser Leben auf eine unsagbare Schuld gründen. Zuviel ist geschehen, was nicht hätte verschwiegen werden dürfen. Und doch führten wir nur fort, was andere vor uns begonnen haben. Wir gingen nur weiter. Jetzt ist es an Ihnen, an unseren Enkeln, etwas Neues anzufangen. Vergessen Sie mich, Leo, vergessen Sie uns alle und gehen Sie den nächsten Schritt. Die Kirche ist uns wieder einmal eins voraus. Sie hat ihr Gutachten und wir werden nie erfahren, was den Professor dazu bewog, es zu schreiben. Vielleicht ist das auch gar nicht länger wichtig, vielleicht können Sie —«
»Ich glaube schon, dass wir es erfahren werden«, unterbrach ihn Julia leise.
Alle sahen sie an.
»Mein Vater hat in der Urne meiner Schwester den Schlüssel zu einem Schließfach versteckt«, fuhr sie fort, wobei sie den braunen Umschlag aus ihrer Tasche holte. »Ich glaube, dass sich darin die Antwort auf unsere Fragen befindet.«
Sie riss den Umschlag auf und holte einen dicken Packen Papier heraus. Dann las sie, ohne ein weiteres Wort. Die anderen beobachteten sie gespannt. Sogar der Pater schien sich etwas zu beruhigen und starrte sie an, als versuche er, von ihren Lippen zu lesen. Nach einer Weile sah Julia von den Blättern auf.
»Und, was schreibt er?«, fragte Dr. Albertz, »So lies doch vor!«
Julia sah an ihm vorbei.
»Hier drinnen ist es zu dunkel«, sagte sie. »Dies alles ist nur für mich bestimmt.«
Julianus Apostata
Die Monate nach dem Tod des allerchristlichsten Kaisers im Jahr 337 gingen unter dem Begriff ›Konstantinische Säuberung‹ in die Geschichte ein. Die Söhne des Kaisers, Constantinus, Constantius und Constans brachten alle anderen männlichen Verwandten der Führerdynastie um, mit Ausnahme der Knaben Julianus und Gallus, die man für ungefährlich hielt. Manche glauben, dass Konstantin selbst die Morde für den Fall seines Ablebens angeordnet hat. Einerlei, das Massaker war durch höhere Eingebung gerechtfertigt, wie Eusebius von Nikomedia meinte.
Die Söhne blieben dem Erbe des Vaters treu, indem sie einander bekriegten, die Donatisten verfolgten, die Heiden ermordeten und die Juden verbrannten. Als der Letzte von ihnen gestorben war, wurde mit Julianus, dem man später den Beinamen Abtrünniger gab, seit über hundert Jahren zum ersten Mal ein Mann zum Augustus, der eine umfangreiche, klassische Bildung besaß. Er unternahm als letzter römischer Kaiser den Versuch, gegen die Vetternwirtschaft der Christen, die ›Konstantinische Wende‹, vorzugehen. Er bekannte sich offen zum Heidentum, gab den Tempeln die von den Christen geraubten Schätze wieder, verbot den Christen, griechische Literatur und Philosophie zu lehren, entließ sie aus wichtigen Ämtern und setzte stattdessen fähige Beamte ein.
Julianus, der letzte Kaiser der
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