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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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Wasser.
    »Ist es das, Leo?«, fragte sie halblaut.
    »Was meinst du?«
    Er hob seinen Kopf, um sie anzusehen.
    »Alles geht immer so weiter, so wie dieser Fluss, mal mehr, mal weniger schnell, mal gerade, mal daneben, aber immer in die gleiche Richtung?«
    »Nein, das kann es nicht sein. Es ist an uns, das zu ändern.«
    »An uns?«
    »An wem sonst? Irgendwer muss doch damit anfangen.«
    Er legte seinen Kopf zurück auf ihre Knie. Der Fluss nahm seine Gedanken mit sich fort.
    »Wir haben keinen Mord, sondern das Verhängnis dreier Brüder aufgeklärt, die umso schicksalhafter miteinander verbunden waren, je mehr sie sich aus dem Weg gehen wollten. Das ist wie die umgekehrte Ringparabel: Jeder von ihnen versucht auf seine Weise, das Richtige zu tun, und doch verzweifeln sie an dem Fluch, den der Vater ihnen hinterlassen hat.«
    »Die Wohlmeinenden richten immer den größten Schaden an, weil sie so sehr von sich überzeugt sind!«, nickte Sophie.
    »Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist, die Vergangenheit zu kennen. Ich habe noch immer keine Ahnung, wie alles zusammenhängt. Wir glauben, was man uns sagt, nehmen hin, was wir lernen, ohne zu hinterfragen, wer unser Lehrer ist, ohne uns Gedanken darüber zu machen, warum etwas überhaupt ins Lehrbuch geschrieben worden ist. Deshalb erfahren wir unvermeidlich nur die halbe Wahrheit. Ach, was sage ich: wir erfahren nur, was wir erfahren sollen, was uns unsere Vorfahren als Wahrheit verkaufen.«
    »Moment mal«, warf Sophie ein, »wir waren nicht dabei, wir können doch gar nicht beurteilen, was unsere Großeltern wirklich erlebt haben.«
    »Du verstehst mich falsch. Ich will nicht darüber urteilen. Ich will nur herausfinden, was von dem, was sie sagen, für mich verbindlich ist. Wir sind nur die Enkel dieser Leute. Bisher dachte ich immer, dies sein ein Makel. Aber das stimmt nicht, Sophie, es ist ein Privileg. Wir dürfen die Welt mit unseren eigenen Augen entdecken, aus der Enkelperspektive, verstehst du?«
    »Ich glaube schon.«
    »Nimm den Professor als Beispiel. Er hat wie ein Besessener gegen die Kirche angeschrieben, war aber der religiöseste Mensch, den ich mir vorstellen kann.«
    »Als man Donatus abführte, hat er ihn als Märtyrer bezeichnet. Der Selbstmord ist ihm wirklich nahe gegangen.«
    »In gewissen Sinne ist Donatus wirklich sein Mörder. Aber Professor Spohr ist nicht für seinen Glauben gestorben. Die wahre Botschaft, die er gesucht hat, existiert nicht, Dichtung und Wahrheit verschwimmen zu einem Universum von Irrlichtern.«
    »Das klingt poetisch.«
    Sie strich ihm übers Haar.
    »Vielleicht hast du Recht. Wer mag schon leben ohne Gott, ohne den Glauben an einen höheren Sinn?«
    »Ich kenne einen!«, lachte Leo bitter.
    »Dr. Albertz?«
    »Natürlich.«
    »Das stimmt«, bestätigte Sophie. »Der macht sein eigenes Ding. Er schwimmt nicht mal gegen den Strom, er schwimmt daneben. Aber gerade Leute wie er sind der Grund dafür, dass die Meisten sich einen Gott wünschen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Jemand wie er ist ganz auf sich allein gestellt, die ganze Zeit. Er ist sich in allem der eigene Ursprung, der eigene Antrieb und das eigene Ziel. Rücksichten, Mitleid oder etwas Heiliges gibt es nicht. Das hält doch keiner durch!«
    »Dr. Albertz schon!«, sagte Leo. »Er kann nicht vom Weg abkommen, weil er ein Entdecker ist.«
    Mit einem Mal begriff er, woher das warme Gefühl für ihn stammte. Ganz auf sich allein gestellt – das klang groß und erhaben. Würde er sich davor fürchten?
    »Er muss sehr einsam sein, Sophie,« sagte er nach einer Weile und schaute ihr gerade ins Gesicht, »glaubst du nicht?«
    »Wieso kommen Leute wie er so weit?«, fragte sie.
    »Ach, keine Ahnung! Vielleicht ist er das schwarze Schaf, vielleicht ist er der große Einzelne. Ich weiß es nicht.«
    »Das schwarze Schaf und der große Einzelne sind wahrscheinlich ein und dieselbe Person«, lachte Sophie. »Und, was machen wir jetzt mit all dieser Weisheit? Dieses ganze Getue um die wahre Kirche und den rechten Glauben! Ich frage mich, wozu wir diesen ganzen Schnickschnack brauchen?«
    »Glaubst du nicht, dir würde was fehlen?«
    »Das Einzige was mir fehlt, ist ein Kuss!«
    Sie beugte sich zu Leo hinab und küsste ihn auf die Wange.
    »Was ich in der letzten Woche begriffen habe ist, dass die Religion den größte Schaden in den Herzen der Menschen anrichtet. Es ist höchste Zeit, etwas Neues auszuprobieren.«
    »Was denn?«, fragte Leo.
    »Ich weiß es doch auch

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