Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
Vom Netzwerk:
katholische Volkspartei auf, die bis dahin die stärkste Kraft gewesen war. Ihr Gründer und Führer, der Priester Luigi Sturzo, wurde auf Befehl Papst Pius‘ XI. in einem entlegenen Kloster kaltgestellt. Stattdessen predigte man von jeder Kanzel herab, Mussolini und die Faschisten zu wählen. Die Folgen dieser Protektion sind bekannt.«
    »Was der Papst getan hat, weiß ich. Aber wie hätte er denn ahnen sollen, was die Faschisten in Italien anrichten würden?«
    »Er ahnte es nicht nur!«, antwortete Pater Donatus düster. »Man muss aus seinen Reden schließen, dass er die faschistischen Überzeugungen teilte und ihre Methoden richtig fand. Das ist katholischer Zynismus. Jedes Opfer, jedes Mittel ist recht, wenn es nur der katholischen Sache dient. Die Kirche wollte ihren politischen Status vor 1870 zurück und wenn Mussolini diesen Wunsch auch nicht erfüllte, so zeigte er sich für die Wahlhilfe dennoch sehr erkenntlich. 1929 schloss er mit dem Vatikan die Lateranverträge ab. Damit erhielt die Kirche zwar nicht ihr Territorium aber doch die volle Souveränität zurück. Sie durfte wieder Bischöfe ernennen, wurde in den vorherigen Besitz eingesetzt oder zumindest fürstlich entschädigt. Die Kirche übernahm das gesamte Schul- und Bildungswesen und erhielt eine zentrale Rolle im faschistischen Staat Mussolinis, der die manipulative Kraft des Glaubens entdeckt hatte.«
    »So wie du die Geschichte erzählst, gibt es tatsächlich Parallelen zu der Synode von Arles«, gab Dr. Albertz zu.
    »Lass es mich auf den Punkt bringen«, antwortete Donatus. »In beiden Fällen kollaborierte die römische Kirche mit der tyrannischen Staatsgewalt, um Anerkennung, Einfluss und Privilegien zu erlangen. In beiden Fällen wurden die Prinzipien der Menschlichkeit verraten. In beiden Fällen bereicherte die Kirche sich am Vermögen der sogenannten Staatsfeinde. Ging es der Kirche damals vielleicht noch ums Überleben, kämpfte sie 1929 nur um die Wiedererlangung der einstigen, unbeschreiblichen Machtposition. Sie hat schon immer mit totalitären Herrschern paktiert, anstatt sie zu bekämpfen.«
    »Aber dennoch«, warf Dr. Albertz ein, »kann man beides nur bedingt vergleichen. Der Duce war kein römischer Kaiser, sondern ein gewalttätiger Emporkömmling. Er führte einen Vernichtungskrieg und rechtfertigte ihn mit der Überlegenheit der eigenen Rasse.«
    »Maximilian, ich möchte weder den Duce mit den römischen Kaisern vergleichen, noch deren Kriegsführung mit den Kriegen der Faschisten. Darum geht es doch gar nicht! Es geht allein um die Machenschaften der Kirche! Es geht darum, dass die Kirche schon lange damit aufgehört hat, das Wort Gottes zu verkünden und stattdessen Lügen verbreitet. Sie beteiligte sich an Unterdrückung und Massenmord, indem sie deren Initiator förderte. Mussolinis Überfall auf Abessinien und der folgende Genozid waren der Anfang einer unbegreiflichen Serie von Gräueltaten. Der Klerus hat diesen Krieg gut geheißen, als gerecht und Gott wohlgefällig gepriesen. Alle Skrupel, alles, was den Schlächtern hätte Einhalt gebieten können, wurde mit dem kirchlichen Segen übertönt. Ohne die katholische Kirche und ihre Generalabsolution wäre Mussolini nie so weit gekommen. Das millionenfache Morden wäre vielleicht nie geschehen, hätte sich nicht immer ein Pfaffe gefunden, der die Zweifel weg betet und den mordenden Mob anstachelt!«

Feria Quarta, 21 Uhr 09; der Schrein
    Vor dem alten Vorstadthaus bereute Leo seinen Entschluss, hergekommen zu sein. Es lag hinter hohen Bäumen in völliger Dunkelheit. Die Fensterläden waren geschlossen, von weitem sah man die Absperrbänder der Polizei. Julia ging zur Haustür.
    »Bist du verrückt!«, flüsterte Leo.
    Er hatte nicht genau vor Augen, nach welchen Vorschriften es verboten war, ein polizeiliches Siegel zu brechen, aber es würde sicher eine Menge Ärger geben. Zu spät! Das Siegel war schon verletzt. Er zog Julia von der Tür weg.
    »Was soll das?«
    »Was hast du getan?«, zischte Leo. »Das Siegelband!«
    »Lass mich los! Ich habe es nicht angerührt.«
    Julia strahlte eine verstörende Gelassenheit aus.
    »Soll das heißen?«
    »Jemand ist uns zuvor gekommen!« Sie grinste. »Hast du schon einmal eine Tür aufgebrochen? Ich habe nämlich keinen Schlüssel.«
    »Wie sollen wir dann reinkommen?«
    Als Kind hatte Julia sich vorgestellt, dass ihre tote Mutter alles sehen würde, was sie tat, weil den Seelen der Verstorbenen doch nichts verborgen bleibt.

Weitere Kostenlose Bücher