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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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Sie war ihre geheime Verbündete und bewahrte sie manchmal besser vor Dummheiten, als eine lebendige Mutter das vermocht hätte. Denn alles musste vor ihrer strengen Prüfung bestehen. Wenn es wirklich keinen Himmel gab, was zu betonen ihr Vater nicht müde wurde, so musste sie noch irgendwo sein, überall und unsichtbar. Manchmal schlich Julia nach draußen, wenn die Verlassenheit unerträglich wurde. Sie fürchtete, die Seele der toten Mutter könne nicht ins Haus, wegen eines Zaubers, den sie nicht verstand, oder wegen ihres Vaters, der an nichts glaubte. Dann legte sie sich hinter dem Haus ausgestreckt ins Gras und presste ihr Ohr auf den Boden. Unter dem Kirschbaum, dessen Früchte ihr die Mutter früher als Schmuck um die Ohren gehängt hatte, konnte sie die Geräusche der Nacht am Besten unterscheiden. Hier herrschte eine schauerliche Ruhe.
    Im Sommer einmal fand sie der Professor. Sie war unter dem Baum eingeschlafen. ›Was tust du hier?‹, fragte er. ›Mama, bist du das?‹, murmelte das Kind beim Erwachen. Ernst Spohr wiederholte die Frage. Noch schlaftrunken drehte sich Julia auf den Rücken und lächelte ihren Vater an. ›Ich hab‘ Mama zugehört, das mache ich manchmal. Unter dem Kirschbaum kann ich sie flüstern hören. Es ist wie damals, als sie mich in den Schlaf gesungen hat.‹ Sie setzte sich auf und breitete die Arme aus. Wie gut hätte es ihr getan, an seiner Brust zu weinen. Doch der Professor wich zurück. ›Deine Mutter ist tot, Julia, ihr Leichnam wurde verbrannt. Das habe ich dir doch gesagt. Nur noch wir beide sind übrig. Komm jetzt ins Bett. Du sollst nachts nicht nach draußen gehen. Ich werde künftig die Tür abschließen.‹ Er wandte sich zum Gehen. Deswegen konnte er ihre Augen nicht sehen, die Augen eines verlassenen Kindes. Und als er sich zu ihr umdrehte und ihre Hand ergriff, hatte sie den Kopf bereits gesenkt. So sah er auch ihre Tränen nicht.
    Danach wagte sie nicht mehr, in die Nähe des Kirschbaums zu kommen. Statt dessen öffnete sie nachts das Fenster, lauschte hinaus und schämte sich dafür. Aber im folgenden Frühling, als die Natur in Blüte stand und Julia sah, wie alles Tote immer wieder zu neuem Leben erwacht, hielt sie es nicht mehr aus. Also öffnete sie leise die Tür ihres Zimmers und horchte. Ihr Vater arbeitete oben in der kleinen Bibliothek. Im Haus war es dunkel. Julia hielt die innere Klinke gedrückt und schlüpfte hinaus, wobei sie mit der anderen Hand die äußere Klinke fasste und erst los ließ, nachdem sie die Tür lautlos geschlossen hatte. Das konnte man oben unmöglich hören. Dann ging sie los und fand die Haustüre wirklich verschlossen. Der Schlüssel hing neben der Tür am Schlüsselbrett. Sie wagte nicht, ihn zu nehmen. Obwohl sie den Keller sonst mied, schlich sie die Treppe hinunter. In dieser Nacht schien eine unsichtbare Hand sie zu führen. Julia ging ganz nach hinten in den Kohlenkeller. Die kleinen Käfer und Spinnen erschreckten sie nicht, denn sie wollte etwas viel Schrecklicherem begegnen. Gegenüber, an der Wand schimmerte es. Das Licht einer Straßenlaterne drang undeutlich durch den Schacht, wo man früher die Kohlen hinunter geschüttet hatte. Dort kroch sie hinauf, bis ihr ein mit Spinnweben umhüllter Gitterrost den Weg versperrte. Sie steckte ihre Mädchenfinger durch die Löcher und bemerkte ganz unschuldig, dass er sich beinahe geräuschlos öffnen ließ. So gelangte sie in die Mitte der Hofeinfahrt und rannte zum Kirschbaum in den Garten, wo sie sich ins Gras warf. Diesmal überkam sie ein Grauen, denn sie stellte sich vor, dass ihre Mutter sie anlächelte und dabei von innen heraus verbrannte, wie eine Fotografie, die das Feuer verzehrt.
    Leo packte sie am Arm und drückte sie zu Boden. Er legte ihr einen Finger auf den Mund und zog sie in den Schatten des kleinen Schuppens.
    »Was ist los?«
    »Leise! Da ist jemand im Haus!«
    »Oh, mein Gott!«
    »Ich habe im ersten Stock Licht zwischen den Ritzen eines Fensterladens gesehen.«
    »Ich sage doch, dass noch jemand auf die Idee gekommen ist, dass die Polizei nicht alles gefunden hat«, entgegnete Julia. »Los, Leo, wir müssen jetzt schneller sein!«
    Ohne weiter auf ihn zu achten, kroch sie an der Hauswand entlang. Etwa auf halbem Weg machte sie sich an der Mauer zu schaffen. Das Jammern eines verrosteten Scharniers verlor sich in der Nacht. Leo winkte aufgeregt, um sie zum Zurückkommen zu bewegen. Doch Julia machte nur eine wegwerfende Handbewegung und verschwand

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