Die Augen
gespürt hatte, als sie erschossen wurde. Und auch ohne meine besondere Verbindung zu Christina war das, was ich spürte, mit jedem Tag so viel stärker geworden, so viel … intensiver.« Sie zuckte ruckartig mit den Achseln. »Ich war schon vor ihrem Tod immer vorsichtiger bei Tatorten geworden, einfach vorsichtshalber.«
»Das hätten Sie mir sagen sollen.«
»Sie hätten mir nicht geglaubt.«
John wusste, dass das stimmte, deshalb konnte er es wohl kaum leugnen. Er schwieg, während sie aufaß. Nachher räumte er ab, schickte sie mit Kaffee ins Wohnzimmer und gesellte sich wenige Minuten später dort zu ihr. Sie hatte sich in eine Ecke der Couch gekauert, ihr übergroßer schwarzer Pulli und die dunkle Trainingshose ließen ihre Haut noch blasser und ihr Haar noch prächtiger als sonst erscheinen.
Als John sich zu ihr auf die Couch setzte, betrachtete sie ihre Hände und sagte geistesabwesend: »Ich komme mir vor wie Lady Macbeth. All das Blut an meinen Händen, ich kann es immer noch riechen.«
Gelassen erwiderte er: »Ich rieche nur Lavendelseife.«
Sie steckte ihre Hände zwischen die Knie und wandte ihm das Gesicht zu. »Er soll beruhigend und entspannend wirken, dieser Duft. Normalerweise tut er das auch.«
»Maggie, vielleicht sollten Sie wieder ins Bett gehen.«
»Nein. Ich … möchte nicht allein sein. Macht es Ihnen etwas aus?«
»Natürlich nicht. Aber Sie sind noch nicht richtig ausgeruht.«
»Einstweilen reicht es. Zum ersten Mal seit Tagen konnte ich richtig schlafen. Wahrscheinlich weil ich wusste, dass Sie hier sind. Habe ich Ihnen übrigens schon gedankt?«
»Wofür? Dass ich geblieben bin? Ich wollte es, Maggie.«
»Dass Sie geblieben sind. Und dass Sie mich aus diesem Haus gezerrt haben. Ich weiß nicht, ob ich es nach draußen geschafft hätte, wenn Sie nicht gewesen wären.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie das nie wieder tun. Allein an einen solchen Ort gehen.«
»Nein, das werde ich nicht.« Ihr Lächeln war ein wenig zittrig. »Ich würde es nicht wagen, nach dem, was passiert ist. Das war sehr unheimlich.«
John hätte ein anderes Wort dafür gewählt, doch er sagte nur: »Für mich auch.«
»Es tut mir Leid.« Sie hob die Hände und betrachtete sie erneut, als könnte sie nicht anders.
»Das Blut ist weg, Maggie.«
»Ja. Ich weiß.« Sie ließ die Hände sinken, ließ sie auf ihren Schenkeln ruhen, wandte jedoch den Blick nicht von ihnen.
Er zögerte, war sich nicht sicher, ob er hierfür bereit war. In jeder Hinsicht. »Wir müssen nicht darüber reden.«
Maggie lächelte wieder, und ganz schief diesmal. »Okay.«
»Ich wollte nicht – Maggie, es ist nicht so, dass ich an dem zweifle, was Sie können.«
»Ich weiß. Ihnen ist nur sehr … unbehaglich zumute dabei.«
Er bemühte sich um einen leichten Tonfall. »Hören Sie auf, meine Gefühle aufzufangen, ja?«
Da sah sie ihn endlich an, das schwache Lächeln war noch da. »Einer der größeren Nachteile, wenn man … einer Empathin zu nahe kommt, fürchte ich.«
»Damit habe ich nicht gerechnet«, gestand er.
»Ich will mich nicht in ihre Intimsphäre mischen. Es tut mir Leid.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Betreten-verboten-Schilder aufgestellt, nicht was Sie betrifft. Es dauert bloß, bis ich mich daran gewöhnt habe, das ist alles.«
»Ich weiß. Ich weiß das.«
Er sagte nichts von dem, was er sagen wollte, und seine eigene Unzulänglichkeit verstörte ihn. Er war sich nur allzu bewusst, dass die falschen Worte sie verletzen würden, wusste immer noch nicht, ob er bereit war für dies, und beobachtete, wie sich ihr ruheloser Blick dem Fernseher, der ohne Ton lief, zuwandte.
»Noch mehr Regen«, murmelte sie. »Immer Regen. In Seattle werden die Leute nicht braun …«
»Sie rosten«, beendete er den Satz.
»Ich vergesse immer wieder, dass Sie hier aufgewachsen sind.«
»Ich habe schon daran gedacht, wieder hierher zu ziehen. Seltsamerweise vermisse ich den Regen.«
In diesem Augenblick setzte er wieder ein, die Tropfen trommelten auf das Dach von Maggies kleinem Haus, und sie nickte. »Ich glaube, ich würde ihn auch vermissen. Es ist ein sehr wohltuendes Geräusch.«
Das Schweigen, das nun zwischen ihnen entstand, war nicht besonders wohltuend. John benötigte keine übersinnliche Begabung, um das zu spüren. Zu vieles blieb ungesagt, und doch wusste er, dass sie sich an einem Wendepunkt befanden, an einem Kreuzweg, auf den sie beide völlig unvorbereitet gestoßen waren.
»Maggie
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