Die Auserwählte: Roman (German Edition)
synchronisierten Bewegungen der Suchenden, die den Anschein erweckten, als wären sie mit unsichtbaren Fäden miteinander verbunden. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht mit ihnen verbunden sein, wollte nicht für den Rest meines Lebens an sie gefesselt und als Suchende gebrandmarkt sein.
»Aber warum ist dieses Ritual nötig? Ich habe doch bereits eingewilligt, dass ich mich euch anschließe.« Diese Einwilligung war etwas, dass ich mit jeder Sekunde mehr bereute. Ich hätte auf Jeremy hören sollen, auch wenn er in Betracht gezogen hatte, mich zu töten. Ich hätte mich von den Suchenden fernhalten sollen. »Kann ich nicht einfach einen Eid leisten?«
Mr Kale warf Katrina über meinen Kopf hinweg einen Blick zu. »Du hast doch gesagt, du hättest ihr alles erklärt.«
Katrina zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat sie nicht zugehört.«
»Mia«, sagte Mr Kale. »Der Kreis dient dazu, unsere gemeinsame Energie einzufassen und zu fokussieren. Ich werde jetzt meine Hände auf Ihren Kopf legen. Sie werden einen sanften Druck und ein leichtes Kribbeln spüren, aber Sie sollten keinen Schmerz empfinden.«
»Moment. Immer mit der Ruhe und …«
Ich fühlte, wie Mr Kales Hände sanft auf meinem Scheitel zu liegen kamen. Ihr Druck war unmerklich, aber das elektrisierende Kribbeln glich einem Stromstoß. Ich zuckte auf meinem Stuhl zusammen – als wäre ich vom Blitz getroffen worden. Der Schmerz, den ein Blitz verursachte, war so makellos, dass ich ihn nicht als Schmerz empfand. Was ich jetzt spürte, war allerdings anders.
»Sie haben doch gesagt, es tut nicht weh.« Meine Stimme klang so dünn, dass ich bezweifelte, ob mich überhaupt jemand hörte. Dann setzte der Druck ein, als würde jemand mein Gehirn zusammenquetschen und es wie einen Schwamm auswringen.
Lassen Sie mich ein, Mia. Hören Sie auf, sich zu wehren. Lassen Sie mich Sie zu einer von uns machen.
Das war Mr Kales Stimme, und ein Teil von mir wollte ihm gehorchen, wollte aufgeben und das Ganze über sich ergehen lassen. Doch dieser Teil war klein. Winzig.
Nein! Verschwinden Sie aus meinem Kopf!
In meiner Brust wallte Hitze auf, knisternde Energie.
Ich hörte Mr Kale nach Luft ringen.
Was tun Sie da?
Ich wusste nicht, was ich tat. Ich wusste nur, dass ich seine Hände nicht mehr auf mir spüren wollte. Dass ich den Druck in meinem Kopf nicht mehr spüren wollte.
Bitte hören Sie auf, Mia. Kämpfen Sie nicht gegen mich. Ich bin nicht Ihr Feind.
Eine elektrische Ladung wanderte vibrierend über meine Haut.
Wir brauchen Sie, sagte Mr Kale.
Aber ich brauche Sie nicht! Ich schleuderte ihm die Worte hin, und die elektrische Ladung auf meiner Haut pulsierte ein letztes Mal. Dann war der Druck in meinem Kopf verschwunden. Mr Kales Hände waren ebenfalls verschwunden. Der Kreis der Suchenden weitete sich und brach auf, als sie rückwärtstaumelten, wobei einige von ihnen nach Luft schnappten und sich ans Herz griffen.
Ich stand abrupt auf, und ein Schwindelgefühl überkam mich. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen, und ich sah Sternchen, dann war es wieder vorbei. Ich drehte mich um. Mr Kale stand mit dem Rücken zur Tafel und rang nach Luft. Er hatte seine Maske abgesetzt, und sein zu langes Haar hing ihm wie ein Vorhang vor den Augen, sodass nur seine Nase herausragte. Er hatte die Hände gehoben und starrte sie durch den Schleier seiner Haare an. Von seinen Fingern stiegen gekrümmte Rauchfahnen auf, als hätte er soeben zwei Hände voll glühender Zigaretten zerdrückt.
»Onkel!« Katrina eilte zu ihm, um seine Hände zu untersuchen. »Was hast du mit ihm gemacht?«, fauchte sie mich an.
Ich sah, dass sich die Haut auf Mr Kales Handflächen schwarz verfärbt hatte und spröde und rissig war, und meine Erinnerung spulte zurück zur London Bridge in Lake Havasu, zu den Verbrennungen an Jannas Beinen und den in ihre Brust geschmorten Handabdrücken.
Niemand versuchte, mich aufzuhalten, als ich in Richtung Tür zurückwich.
18
M ein Körper spulte mechanisch die Routine ab. Ging in den Unterricht. Setzte sich auf einen zugewiesenen Stuhl. Starrte Worte und Gleichungen an der Tafel an. Mit meinen Gedanken war es eine andere Sache. Sie kehrten immer wieder in Mr Kales Klassenzimmer zurück und ließen wiederaufleben, was sich dort zugetragen hatte.
Er war in meinem Kopf gewesen, aber dieses Mal hatte er nicht nur zu mir gesprochen. Dieses Mal hatte er Druck ausgeübt, schrecklichen Druck, als versuchte er, mein Gehirn in eine
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