Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
beginnt zu lächeln. Zandri eilt zu uns und fällt als Erstes Malachi um den Hals. Die meisten unserer Gruppe gratulieren ihr, aber ich gehe zu Will, der noch immer wartend die Tür im Auge behält. Ganz langsam beginnt er zu begreifen, dass seine andere Hälfte nicht wiederkommen wird.
Dr. Barnes bittet uns, Platz zu nehmen, und beglückwünscht die übrig gebliebenen Kandidaten. Ich muss Will zu seinem Stuhl führen und ihn beinahe zwingen, sich zu setzen. Tomas und ich lassen uns rechts und links von ihm nieder. Er beginnt zu zittern. Aus Wills und Gills Erzählungen weiß ich, dass die beiden noch nie länger als ein paar Stunden voneinander getrennt gewesen sind. Ich habe gehört, wie sie die Sätze des jeweils anderen beenden, und ich frage mich, wie die eine Hälfte ohne die andere überleben soll.
Will umklammert meine Hand wie einen Rettungsanker, während uns mitgeteilt wird, dass die zweite Prüfungsphase morgen nach dem Frühstück beginnen werde: eine Reihe von praktischen Aufgaben, bei denen wir unsere Intelligenz, unsere einzigartigen Fähigkeiten und Problemlösungsstrategien würden unter Beweis stellen können. Dr. Barnes warnt uns: »Wenn ihr einen Prüfungsteil nicht versteht oder euch nicht sicher seid, wie ihr ihn zu Ende bringen sollt, fangt bitte nicht an zu raten. Hebt eure Hand und teilt dem anwesenden Prüfer in dem euch zugewiesenen Raum mit, dass ihr die Aufgabe nicht bewältigen könnt. Ein Problem nicht zu lösen ist besser, als eine unzutreffende Lösung anzubieten. Falsche Antworten werden bestraft.«
Er lässt seine Worte auf uns einwirken und entlässt uns dann mit einem letzten Glückwunsch.
Tomas und ich helfen Will beim Aufstehen und stützen ihn auf dem Weg zum Speisesaal. Unterwegs erklärt uns Will, dass sein Bruder bestimmt absichtlich durchgefallen sei, um nach Hause zu seiner Freundin zurückkehren zu können. Beim Abendessen gibt er weitere lustige Anekdoten zum Besten. Doch immer wieder sehe ich, wie er nach links schielt, als ob er darauf wartet, dass sein Bruder seinen Gedankengang beendet, ehe ihm einfällt, dass der ja gar nicht mehr da ist.
Wir kehren früh in unsere Zimmer zurück, um uns für das auszuschlafen, was auch immer uns am nächsten Morgen erwarten wird. Ich träume von Ryme, die eine selbst geknüpfte Schlinge um den Hals hat und Gill einen ihrer Kornkekse anbietet. Sie lächelt, als er zugreift und tot auf dem Fußboden zusammensinkt.
Am Morgen schrubbe ich mir das Gesicht in eiskaltem Wasser, um mir den Schlaf aus den Augen zu reiben, dann mache ich mich auf den Weg zum Frühstück. An unserem Tisch bin ich heute die Letzte. Die Stimmung ist gut. Besonders bei Will, der hemmungslos mit Nicolette flirtet. Ihre Wangen und die Spitzen ihrer Ohren glühen, als sie rasch einen Schluck Apfelsaft nimmt. Der Art und Weise nach zu urteilen, wie sie sein Lächeln erwidert, ist seine Aufmerksamkeit durchaus gern gesehen. Ich hoffe, er benutzt sie nicht nur, um mit dem Fehlen seines Bruders klarzukommen. Die Dinge sind schon anstrengend genug.
Die Durchsage ertönt, dann machen wir uns alle auf den Weg zu den Aufzügen und in den Versammlungsraum im dritten Stock. Dr. Barnes lächelt breit durch seinen ergrauten Bart hindurch, während er uns zusieht, wie wir unsere Plätze einnehmen. Er teilt uns mit, dass noch siebenundachtzig Kandidaten übrig seien. Dann erinnert er uns daran, dass heute die zweite Phase der Prüfung eingeläutet wird, und er bittet uns nochmals, immer daran zu denken, dass in diesem Teil falsche Antworten bestraft würden.
Wir werden in Sechsergruppen eingeteilt. Ich bin überrascht, als Malachi und Will mit mir zusammen aufgerufen werden, und wir trotten einem Offiziellen hinterher den Gang hinunter.
Im Prüfungsraum finden wir sechs hüfthohe Arbeitstische in zwei Reihen vor – drei vorn, drei hinten –, und unmittelbar hinter jedem befindet sich ein Hocker. In der linken Ecke jedes Arbeitsplatzes entdecke ich ein schmales Schild mit dem Symbol des jeweiligen Kandidaten. In der Mitte der Tische warten bereits große Holzkisten.
Eine weibliche Offizielle mit silbergrauen Haaren fordert uns auf, den Tisch mit unserem Symbol zu suchen. Mein Arbeitsplatz befindet sich in der Mitte der hinteren Reihe. Malachi sitzt rechts vor mir, Will links neben mir. Er sieht, dass ich zu ihm schaue, und winkt mir zu.
Die Offizielle sagt uns, wir sollten die Hand heben, wenn wir die Aufgabe vor uns gelöst hätten. Dann würde die Kiste abgeräumt
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