Die Außenseiter
Mal sah er mit eigenen Augen ein Beispiel der komplexen menschlichen Technologie; alles war neu für ihn, jedes Detail: der Entwurf, die Instrumente, die klimatisierte Passagierkabine. Es gab natürlich nirgends einen Ruhesattel für ihn. Für einen Thranx war der Boden eine bessere Sitzgelegenheit als die Sitze, die für Menschen ausgelegt waren. Er beschloss, stehen zu bleiben und nahm mit allen sechs Beinen einen sicheren Stand ein, als die Wilderer den schallisolierten Motor des Transporters anließen und von ihrem verborgenen Landeplatz ins Blätterdach des Dschungels hinaufstiegen.
Maruco flog größtenteils unter dem Blätterdach dahin und steuerte sein Ziel nicht in gerader Linie an, auch wenn er es auf diese Weise viermal schneller erreicht hätte. So oft wie möglich nutzte er das Blätterdach als Deckung und stieg nur dann über die Baumkronen auf, wenn der Dschungel zu dicht und die Gefahr zu groß wurde, dass der Transporter eine deutliche Spur in Form abgebrochener Äste und abgerissener Lianen hinterlassen würde. Von Zeit zu Zeit wich der wuchernde Wald gewundenen Flüssen und Lagunen, die es Maruco ermöglichten, mit hoher Geschwindigkeit und im Tiefflug voranzukommen, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Als die ersten Ausläufer der Berge im Nebel und in den tief hängenden Wolken auftauchten, stutzte Cheelo. »Ihr habt doch gesagt, euer Versteck läge gleich vor dem Reservat?«
»Das stimmt auch«, antwortete Maruco, ohne sich zu ihm umzudrehen. Hapec bewachte Cheelo mit vorgehaltenem Gewehr. »Wenn du dich hier in der Gegend auskennen würdest, wüsstest du, dass das Reservat im Westen an die Anden grenzt.«
Durch die Frontscheibe sah Cheelo, dass die Gebirgsausläufer rasch steilen, grünen Hängen wichen. »Das weiß ich. Ich hab nur angenommen, euer Versteck sei noch irgendwo im Tiefland, im Wald verborgen.«
Maruco lächelte wissend, während er den Transporter in eine Schlucht steuerte, die stetig aufwärts führte. »Das nehmen alle Ranger an, die im Regenwald patrouillieren. Daher verstecken wir uns nicht im Wald, sondern oben in der dürren und kalten Berglandschaft. Welcher chingon wäre schon so dämlich, sich auf einem baumlosen Gebirgskamm zu verstecken, wo jeder ihn sehen kann? Bestimmt keiner, der im Dschungel wildert, stimmt's?«
»Wir hatten noch nie Ärger«, bestätigte Hapec die Ausführungen seines Kumpans nicht ohne Stolz. »Keiner überprüft uns oder unser kleines Haus.« Als er grinste, entblößte er seine blitzenden Keramikzähne. Offenbar lagen golden getönte Zähne momentan im Trend. »Wenn einer fragt, sagen wir, dass wir eine private Vogelbeobachtungsstation betreiben.«
»Das ist nicht ganz gelogen«, bemerkte Maruco vergnügt. »Wir beobachten ja wirklich Vögel. Und wenn sie selten genug sind, fangen wir sie und verkaufen sie dann!«
Als der Transporter in das Gebiet flog, in dem der Nebelwald begann, der die Hänge mit seinen ewigen, schwermütigen Nebelschwaden überzog, schaltete der Wilderer von manueller auf automatische Steuerung um. Der Luftentfeuchter hatte sich schon vor einer Weile deaktiviert, und die automatische Klimaanlage des Fahrzeugs hatte von ›Kühlen‹ auf ›Heizen‹ umgeschaltet. Cheelo unterhielt sich weiterhin oberflächlich mit den Wilderern, obwohl er wusste, dass er die beiden nicht würde täuschen können. Wenn er sie provozierte, würden sie ihn skrupellos über den Haufen schießen. Das war ihm klar, und sicher wussten auch die Wilderer, dass ihm das klar war. Doch sich mit ihnen zu unterhalten war immer noch besser, als zu schweigen oder sich gegenseitig zu beleidigen. Und vielleicht würde er dabei ja etwas Nützliches in Erfahrung bringen.
Desvendapur jedenfalls lernte viel Nützliches. Er empfand nicht nur den Flug, sondern auch die nervöse Unterhaltung der drei Menschen als anregend und stimulierend: ein nicht abreißen wollender Strom der Inspiration. Er wollte seinen Sch'reiber nicht benutzen, weil er fürchtete, dass die beiden Männer ihm das Gerät wegnehmen würden, deshalb beschränkte er sich darauf, alles zu beobachten und sich so viel wie möglich zu merken. Nervöse Anspannung und unverhohlene Aufregung waren zwei artspezifische Emotionen, die seine Spezies schon vor hunderten von Jahren, um ein höfliches Zusammenleben zu garantieren, aufgegeben hatte. In einer akribisch organisierten Gesellschaft, die schließlich größtenteils unterirdisch und auf engem Raum lebte, waren Höflichkeit und Freundlichkeit
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