Die Außenseiter
kaum jemand, der nicht in einer der zahlreichen Minen arbeitete, die man in die dürre Landschaft getrieben hatte. Dort konnte man zwar untertauchen - aber nicht so, wie es Cheelo vorschwebte: Er wollte nahezu unaufspürbar sein.
Also blieb nur noch das gewaltige Amazonasreservat.
Man hatte die letzten einheimischen Bewohner der biologisch vielseitigsten Regenwaldwildnis, die noch auf dem Planeten erhalten war, vor mehr als einem Jahrhundert umgesiedelt. Seitdem war das Gebiet mit der reichen Vegetation und den großen Wildbeständen unberührt, nur ab und an hielten sich Wissenschaftler und Touristengruppen dort auf. Das dichte Blätterdach würde ihn vor suchenden Augen am Himmel verbergen, und die vielen dort lebenden Tiere würden seine Körperwärmesignatur kaschieren, sodass die patrouillierenden Suchdrohnen ihn nicht würden aufspüren können.
Dem Reiseführer auf seiner Karte zufolge umgab der unberührteste und isolierteste Teil des Parks die östlichen Andenausläufer. Dort, wo der Nebelwald auf den Regenwald des Tiefwaldes traf, war es nie erforderlich gewesen, Einheimische umzusiedeln, weil dort nie welche gelebt hatten. Die Vegetation in dieser Region war so unwirtlich wie üppig. Dort lebten einige der seltensten Tiere nach wie vor in Freiheit. Doch sogar dort fanden sich abgelegene Touristeneinrichtungen, gebaut für besonders abenteuerlustige Menschen, die noch eine echte Wildniserfahrung suchten.
Cheelo hatte selbst einige Zeit in der Wildnis verbracht, wo er sich eher an Touristen als an tropischen Früchten bedient und eine gewisse Vertrautheit mit der rauen Umgebung entwickelt hatte. Plötzlich kamen ihm wieder die elenden Monate in den Sinn, die er betrunken und krank in Amistad verbracht hatte. Im Dschungel würde es nicht sehr angenehm sein - die ganze Zeit über würde er schwitzen, und überall würde es vor Insekten nur so wimmeln -, doch ebendiese unangenehmen Bedingungen würden auch die Gesetzeshüter davon abhalten, gründlich nach ihm zu suchen. Falls man ihn anhielte und befragte, könnte er sich als Tourist ausgeben. Und falls jemand auf den Gedanken käme, ihn genauer zu überprüfen, könnte er in der schier endlos scheinenden Waldwildnis verschwinden, noch während die Polizei seine Vorgeschichte unter die Lupe nähme.
In Lima konnte er sich nicht zu seiner Zufriedenheit ausstatten, doch in Cuzco gab es eine Reihe von Läden, in denen er alles Nötige fand. Der leichte, reißfeste Rucksack, den er erstand, füllte sich rasch mit einem guten Vorrat an Notfallkonzentraten und Vitaminen, einem Wasserfilter, einem Wasseraufbereiter, einem Schlafsack und einem Zelt (beides insektensicher), einem Brennstoffzellen-Kocher und mit Kartensoftware für seine Kredkarte. Der lebhafte Verkäufer versicherte ihm, dass ihm seine neue Kleidung alles Unangenehme vom Leib halten würde, ob Heere von Ameisen oder das Wasser der Regenzeit.
So ausgerüstet, buchte er einen Flug auf einem langsamen Gleiter nach Sintuya, der einzigen Gemeinde, die innerhalb der Grenzen des südwestlichen Reservatabschnittes geduldet wurde. Sie diente allein dem Zweck, die Bedürfnisse der Touristen und Forscher zu befriedigen. Da er sich wohl kaum glaubhaft als Forscher würde ausgeben können, beschloss er, den Touristen zu spielen. Mit seinen Mitreisenden sprach er so wenig wie möglich. Er tat alles, um möglichst höflich zu wirken und ihnen zugleich nicht lange im Gedächtnis zu bleiben.
Der Flug von Cuzco über die Anden war spektakulär. Cheelo hatte einen bemerkenswerten Ausblick auf die uralten, inzwischen von Maschinen instand gehaltenen InkaTerrassen, auf bewässerte Bauernhöfe und winzige wunderliche Ketschua-Gemeinden, die gut von ihrem Handwerk und den Touristen leben konnten. Dann wichen die Berggipfel dem in Nebel gehüllten Regenwald. Der langsame Gleiter sank hinab, folgte dem Verlauf der steilen Hänge im Osten, wobei er gelegentlich Nebel und Wolken beiseite wirbelte und den Passagieren einen flüchtigen Blick auf die dichte Vegetation unter ihnen ermöglichte. Einmal kam kurz eine Brillenbären-Familie in Sicht; sogleich surrten die Rekorder los, als die Reisenden den Moment festhielten, um ihn zu Hause in London oder Kairo, Delhi oder Surabaya noch einmal erleben zu können.
Cheelo Montoya machte keine Bilder, obwohl er sich mit lautem Oh und Ah ebenso eifrig für den Anblick begeisterte wie seine Mitreisenden ringsum. Ein Tourist, der sich nicht für Sehenswürdigkeiten interessierte,
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