Die Auswahl. Cassia und Ky
Diele, am Terminal vorbei, einer nach dem anderen das Haus.
Nachdem sie fort sind, seufzt unsere ganze Familie erleichtert auf. Mein Vater wendet sich an uns. »Es tut mir leid«, sagt er. »Es tut mir leid.« Es sieht meine Mutter an und wartet darauf, dass sie etwas sagt.
»Schon gut, zerbrich dir nicht mehr den Kopf darüber«, erwidert sie tapfer. Sie weiß, dass der Fehler meines Vater von nun an in der permanenten Datenbank gespeichert ist. Sie weiß, was der Verlust bedeutet. Aber sie liebt meinen Vater. Sie liebt ihn zu sehr, denke ich manchmal. Jetzt zum Beispiel. Denn wenn
sie
nicht wütend auf ihn ist, wie kann
ich
es dann sein?
Als wir uns zum Abendessen setzen, umarmt ihn meine Mutter und legt für einen Augenblick den Kopf an seine Schulter, bevor sie ihm seinen Alubehälter reicht. Er streichelt ihr Haar, ihre Wange.
Während ich sie beobachte, stelle ich mir vor, dass so etwas auch eines Tages Xander und mir passieren könnte. Unser Leben wird bald derart ineinander verflochten sein, dass jede Handlung des einen den anderen bis in die letzte Konsequenz betreffen wird, wie bei dem Baum, den meine Mutter einmal im Arboretum umpflanzen musste. Sie hat ihn mir gezeigt, als ich sie besuchen kam. Er war noch ganz klein, ein Schössling, aber schon mit anderen Pflanzen in seiner Umgebung verwachsen. Es erforderte besondere Vorsicht, ihn umzupflanzen. Als sie ihn endlich herauszog, klammerten sich seine Wurzeln immer noch an die Erde seiner alten Heimat.
Ist dasselbe mit Ky geschehen, als er hierherkam? Hat er irgendetwas mitgenommen? Das wäre sicher schwierig gewesen, denn sie haben ihn sicher sorgfältig durchsucht, und er musste sich so schnell anpassen. Dennoch kann ich mir kaum vorstellen, dass er nicht wenigstens
irgendetwas
hierhergeschmuggelt hat. Heimlich, in seinem Inneren, unberührbar. Irgendetwas, das ihm Halt gibt. Irgendetwas von zu Hause.
Mit hämmernden Füßen und geballten Fäusten absolviere ich verbissen mein Training.
Ich wünschte, ich könnte draußen laufen, weg von der Traurigkeit und der Schande hier bei mir zu Hause. Schweiß durchnässt meinen Sportanzug, rinnt mir durch die Haare, über das Gesicht. Ich wische ihn weg und blicke unverwandt auf das Display des Trainingsgeräts.
Die Kurve auf dem kleinen Bildschirm zeigt nach oben: ein simulierter Hügel.
Gut.
Ich habe das Trainingsmaximum erreicht, den schwierigsten Teil, den anstrengendsten Teil. Das Laufband rotiert unter mir, eine Maschine, die die ovalen Bahnen simuliert, auf denen früher Laufwettkämpfe stattfanden. Unsere Laufbänder sammeln außerdem Informationen über die Personen, die darauf trainieren. Wenn man zu weit läuft, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass man masochistisch veranlagt, magersüchtig oder sonstwie gestört ist, und man wird automatisch zu einem psychologischen Funktionär geschickt, der eine Diagnose erstellt. Wenn registriert wird, dass man schnell läuft, weil man ehrlich Spaß daran hat, kann man eine Athletenlizenz beantragen. Ich besitze eine.
Meine Beine schmerzen ein wenig. Ich blicke starr geradeaus und zwinge mich, mir das Gesicht meines Großvaters vorzustellen, damit ich es nicht vergesse. Wenn es wirklich keine Möglichkeit gibt, ihn jemals wieder zurückzubringen, muss ich diejenige sein, die ihn am Leben erhält.
Der Steigungsgrad wird erhöht, und ich halte meine Geschwindigkeit. Ich sehnte mich nach dem Gefühl, das ich heute Morgen beim Erklimmen des Hügels hatte. Draußen an der frischen Luft. Zweige, Büsche, Matsch und Sonnenlicht auf der Kuppe eines Hügels, zusammen mit einem Jungen, der mehr weiß, als er preisgibt.
Das Laufband piept. Fünf Minuten noch, bis das Training endet, bis ich die vorgegebene Strecke in der Zeit gelaufen bin, die meinen optimalen Pulsschlag und meinen optimalen Body-Mass-Index garantiert. Ich muss gesund sein. Unsere Gesundheit macht uns stark und hilft uns, ein hohes Alter zu erreichen.
Alle Voraussetzungen, die sich in früheren Studien als notwendig für eine lange Lebensspanne erwiesen haben – glückliche Ehen, gesunde Körper –, erfüllen wir heute. Wir leben ein langes, gutes Leben. Wir sterben an unserem achtzigsten Geburtstag, umgeben von unseren Familien, bevor die Demenz einsetzt. Krebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden und die meisten anderen schweren Krankheiten sind fast völlig ausgerottet. Noch nie zuvor ist eine Gesellschaft der Perfektion so nahe gekommen.
Oben höre ich meine Eltern reden. Mein Bruder erledigt
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