Die Auswanderinnen (German Edition)

„Was kann ich euch anbieten?“
    Sie beschlossen, erst einmal ein großes Glas Wasser zu trinken. Eva und Isabella nahmen auf dem Sofa Platz und sahen sich im Raum um, während Jo Ann eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holte und drei Gläser aus dem Küchenregal nahm.
    „Du hast es dir hübsch gemacht“, meinte Eva. Der Raum war mit den unterschiedlichsten, einfachen Möbeln, die weder stilistisch noch farblich zueinanderpassten, eingerichtet. Trotzdem, oder gerade deshalb, wirkte er gemütlich. Vor dem grünen Sofa lag ein dicker dunkler Teppich mit undefinierbaren hellen Mustern, gegenüber standen ein blauer und ein brauner Sessel. Die Sitzgruppe war von mehreren kleinen Beistelltischchen umgeben, sodass sie einander direkt und ohne die Barriere eines Wohnzimmertischs gegenübersaßen. Und obwohl das Regal im Halbdunkel lag, bemerkte Eva, dass es im gesamten Raum kein einziges Bild von Kurt gab. Sanftes Nachmittagslicht fiel durch die zwei Fenster, die an der Vorderseite des Hauses gleich neben der Eingangstür angebracht waren, in den Raum und milderte die Spuren, welche die Zeit in ihren Gesichtern hinterlassen hatte. Sie sahen fast aus wie früher!
    Sogar Jo Ann wirkte hier drinnen nicht mehr so verhärmt. Sie hatte sich in den braunen Sessel gegenüber von Eva gesetzt. „Ich weiß, ich bin euch eine Erklärung schuldig“, begann sie ohne große Einleitung. „Es kam alles so plötzlich. Ich habe am Telefon bestimmt ziemlich wirr geklungen. Aber nachdem das Skelett gefunden worden war, wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte. Ich weiß es immer noch nicht. Auf jeden Fall müssen wir darüber reden.“
    „Ja, natürlich“, pflichtete ihr Eva bei, „deshalb sind wir ja hier. Aber Isabella wäre dich auch so besuchen gekommen, und ich habe diese Woche Urlaub, es passt also großartig. Ist es nicht ein Wunder, dass Isabella gerade jetzt zurückgekommen ist? Ich finde es unglaublich, so einen Zufall gibt es normalerweise nicht.“
    Jo Ann schüttelte energisch den Kopf. „Das war kein Zufall!“
    „Wie bitte? Was soll es denn sonst gewesen sein?“, fragte Eva, worauf ihnen Jo Ann erklärte, dass sie davon überzeugt sei, dass Kurt sich den Zeitpunkt, um erneut in ihr Leben zu treten, genau ausgesucht habe. Er wolle sie dadurch zwingen, die wahren Umstände seines Todes aufzudecken. Sie glaubte, es wäre nun an der Zeit, sich der Vergangenheit zu stellen. Und nur weil sie damals alle zu feige gewesen wären, die Wahrheit zu sagen, habe Kurt sich wieder an die Erdoberfläche geschoben, um damit seine Forderung durchzusetzen.
    „Jetzt mach mal halblang!“, sagte Isabella und lehnte sich dabei leicht im Sofa zurück. Es war eine provozierend lässige Haltung, doch in ihren Augen stand unverhohlener Zorn. „Du willst uns allen Ernstes glauben machen, dass Kurt wie ein Gespenst aus der Erde gestiegen ist, um uns zu verfolgen? Das ist doch lächerlich! Das klingt ja nach Jahrmarkt und Geisterbahn mit Plastik-Knochengestellen unter schwarzen Mänteln ...“ Sie untermalte ihre Worte, indem sie beide Arme seitlich ausstreckte und ihre Unterarme baumeln ließ.
    Eva musste unwillkürlich lachen, verstummte aber sofort wieder.
    „Ja“, sagte Jo Ann so ernst, dass Isabella ihren kläglichen Versuch, die Sache ins Lächerliche zu ziehen, aufgab. „Genauso ist es. Als ich von dem Fund erfuhr, bin ich zu Tode erschrocken, dachte aber noch, wir könnten die Wahrheit nach wie vor irgendwie vertuschen. Das glaube ich nun nicht mehr. Kurt verfolgt uns, wie das eben zitierte Gespenst aus deiner Geisterbahn.“
    Isabella beugte sich nun doch zu ihr vor: „Wie kommst du nur auf so eine dumme Idee?“
    „Ganz einfach“, antwortete Jo Ann „wenn sie die Knochen erst einmal untersucht haben, werden sie wissen, dass ...“, sie hielt kurz inne, fuhr dann aber ohne weiteres Zögern mit Bestimmtheit fort. „Auf Grund der Schädelverletzung werden sie davon ausgehen, dass es sich um keine natürliche Todesursache handelt. Die Größe und Art des Loches deutet auf eine gezielte, also eine vorsätzlich beigebrachte Verletzung hin. Auf Mord ! Und sobald das feststeht, sind sie gezwungen, weiterzuforschen und werden herausfinden, dass es sich um Kurts Überreste handelt. Beim heutigen Stand der Forschung ist es überhaupt kein Problem mehr, das Geschlecht, das ungefähre Alter und die Körpergröße eines Toten oder eines Skeletts zu bestimmen, ebenso wie den ungefähren Todeszeitpunkt. Die Untersuchungsergebnisse