Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Tüten und trat ein. Durch einen Fußtritt ließ sie die Haustür hinter sich zufallen. Alle weiteren Handgriffe, um in den magischen Raum zu kommen, waren ihr vertraut und verliefen automatisch. Unten schaltete sie das Licht ein. Die Birne flackerte. Cara vergewisserte sich, dass die Ersatzbirnen noch an ihrem Platz lagen. Sie platzierte den alten vergilbten Heizkörper, den sie aus dem Schuppen hier runter befördert hatte, an die andere Seite und wunderte sich, wie sie es geschafft hatte, dieses nicht gerade leichte Teil hierher zu bekommen. Sie schaute überdies auf die an der Wand gelehnte Schaumstoffmatratze. Sie steckte noch immer im Plastiküberzug. Cara wunderte sich erneut. Um sie durch die Luke bekommen zu haben, musste sie diese wohl kräftig zusammengeknickt haben.
Ohne ihren Einkauf auszupacken, ohne sich weitere Gedanken zu machen, drehte sie sich um, kletterte die schmale Treppe hinauf, richtete oben alles wieder sorgfältig, dachte dabei, dass dies gar nicht nötig sei, und verließ das Gesindehaus. Kaum hatte sie die Haustür hinter sich zugezogen, fluchte die dunkle Stimme in ihr. Sie trieb sie zurück in den Keller und ließ sie die bunt karierte Babydecke aus einer der Tüten hervor holen. Als sie die Decke in ihren Händen hielt, verharrte sie und starrte sie an. Was tat sie hier eigentlich? Sie wusste nicht, was sie mit der Decke wollte. Ihr Inneres schien hin und her zu tanzen, hörte etwas murmeln, leise fluchen. Schon wollte sie die Decke zurücklegen, als sie ein neuerlicher Energieschub packte. Sie rollte diese ein, klemmte sie unter ihren Arm, richtete erneut alles, wie es war, dachte wieder, dass es eigentlich nicht nötig sei und murmelte erstickt: „Ich bin verrückt“.
Draußen an der kalten Luft vermochte sie wieder klarer zu denken. Sie war hier in Bonn, mit Leon und bei Leon. Sie waren auf der Flucht und Simeon würde sie finden. Sie hatte die Sachen gar nicht für ihr Baby gekauft. Auf einmal erschien ihr alles glasklar. Es war für ihn. Für das, was sie für ihn bereitete, wenn er sich mit durchgestreckter Brust vor ihr aufbauen und es unerbittlich verlangen würde.
Einige Zeit später stand sie erneut an der Bushaltestelle. Diesmal war sie eingehüllt in einen langen grauen Mantel, der ihr eine Nummer zu groß war. Auf dem Kopf trug sie eine schwarze Wollmütze mit farblich passendem Schal um den Hals. An den Händen schwarze Lederhandschuhe. All das hatte sie aus dem Kleiderschrank von Leons Mutter. Cara schnüffelte in die kalte Winterluft, glaubte, noch immer den muffigen Geruch des Kleiderschranks im Mantel zu riechen. Für einen Moment fühlte sie sich flau, sackte unmerklich in sich zusammen. Die unter den Arm geklemmte, eingerollte, große meerblaue IKEA-Tragetasche mit der Babydecke rutschte auf den Boden. Sie sah den Bus nahen. Schnell bückte sie sich und schulterte die Tasche hastig durch die beiden langen Trageschlaufen. Der Bus hielt. Cara verharrte auf der Stelle. Der Fahrer sah sie fragend durch die geöffnete Tür an. Cara schüttelte den Kopf. Wie aus weiter Ferne vernahm sie das zischende Geräusch der sich schließenden Türen. Sie starrte dem Bus nach, während sie dem plötzlich ausbrechenden Chaos in ihrem Innern lauschte. Es kam ihr bekannt vor. In Indien war es auch oft so gewesen, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen musste. Aber dort war diese weniger gefährlich gewesen. Hier war alles so ruhig und aufgeräumt. Hier gab es keine umhereilenden Menschen, keine hupenden Autos, kein menschliches Durcheinander, in dem es nicht auffiel, was der Einzelne tat. Sie musste auf der Hut sein. Plötzlich durchfuhr es sie. Wie spät war es? Leon würde bestimmt bald zurück sein. Sie blickte zum Himmel. Die Sonne schien nur noch schwach, bald würde es anfangen zu dämmern. Dennoch, sie wollte es versuchen. Dem Befehl der dunklen Stimme folgen. Cara ließ sich durch ihr Inneres führen und schlug den Weg Richtung Röttgen ein. Ungefähr nach hundert Metern blieb sie stehen. Auf der anderen Straßenseite erblickte sie ein kleines Hotel. Sie sah zuerst den Kinderwagen, neben diesem stand auf dem Parkplatz ein Auto mit offener Heckklappe. Gäste, die an- oder abreisen, überlegte Cara blitzschnell. Kein Bonner Kennzeichen, die drei Buchstaben auf dem Autoschild sagten ihr allerdings nichts. Sie beobachtete eine junge Frau, die einen Koffer in den Wagen lud, einen Blick in den Kinderwagen warf und ins Hotel zurück eilte. Schnurstracks überquerte Cara die Straße.
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