Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
in der Nordmarka herumtreibt?«
Agnes Finckenhagen blinzelte ein paarmal.
»Wir sollten zunächst den Obduktionsbericht abwarten«, entgegnete sie.
Viken verkniff sich ein Grinsen. Er wusste, dass sie zu solchen Phrasen griff, wenn ihr nichts Gescheites mehr einfiel.
18
N och eine Dreiviertelstunde, bis die Praxis aufmachte. In dieser Zeit, bevor der erste Patient kam, erledigte Axel Glenne immer jede Menge Papierkram, sah die Post durch, schrieb Überweisungen. Er fuhr seinen Rechner hoch. Während er darauf wartete, dass sein Computer einsatzbereit war, warf er einen erneuten Blick in die Aftenposten: »Vermisste Frau tot aufgefunden« stand auf der Titelseite. Die Einleitung sprach von einem »tragischen Unfall«. Seit anderthalb Wochen habe die Frau im Wald gelegen. Er legte die Zeitung weg. Öffnete einen Brief des Ullevål-Krankenhauses, das ihm den Operationstermin für Cecilie Davidsen mitteilte. Sie hatten sehr schnell reagiert. So blieb es ihm glücklicherweise erspart, in dieser Sache weiter zu insistieren. In Anbetracht der Laborergebnisse stand außer Frage, dass die Zeit drängte. Da fiel ihm ein, dass er von ihr geträumt hatte. Im Traum hatte er die Tür eines Hauses geöffnet, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Die Villa in Vindern. Er hatte nicht geklingelt, sondern war sofort eingetreten. Drinnen war es dunkel. Aus dem ersten Stock drangen Geräusche zu ihm herunter. Das Stöhnen einer Frau. Ich sollte nicht hier sein, schoss es ihm durch den Kopf, während er die Treppe hinaufging. Jemand folgte ihm, er ahnte einen Schatten, wagte jedoch nicht, sich umzudrehen.
Er ging die Patientenliste durch. Um vier Uhr musste er fertig sein. Letzte Woche hatte er seine Mutter nicht besucht. War nicht mehr bei ihr gewesen, seit sie ihn für Brede gehalten hatte.
In der Internetausgabe von The Lancet entdeckte er einen aktuellen Artikel über Schleudertraumen. Er wollte bestmöglich vorbereitet sein, wenn er sich gemeinsam mit Miriam einem bestimmten Patienten widmen würde. Falls Miriam überhaupt kam … Hoffte er insgeheim, dass sie immer noch krank war, damit er sich zu seinem Besuch in ihrer Wohnung nicht äußern musste? Damit er das Ganze als nicht ernstzunehmende Begebenheit abtun oder um Entschuldigung bitten musste? Vielleicht war sie deshalb für den Rest der Woche zu Hause geblieben.
Um zehn nach halb acht hörte er Rita am Empfang. Kurz darauf ging er zu ihr.
»Neue Woche, neues Glück«, sagte sie, klang aber nicht überzeugend.
»Hast du die Nachrichten gehört?«, fragte er.
Sie nickte.
»Das ist das Fürchterlichste, was ich je gehört habe. Stell dir vor – ein Bär!«
Seine Brauen schossen nach oben.
»Wieso ein Bär?«
»Hast du das denn nicht mitbekommen?«, ereiferte sie sich und hielt ihm die aktuelle Ausgabe von VG unter die Nase. Eine riesige Schlagzeile beherrschte die Hälfte der Titelseite: »VON EINEM BÄREN IN DER NORDMARKA IN STÜCKE GERISSEN.« Darunter befand sich ein grobkörniges Foto, auf dem sich mehrere Personen in weißen Overalls über eine Gestalt beugten, die auf dem Boden lag.
»Ach, Rita, du weißt doch, wie schnell die solche Horrorgeschichten erfinden. Es gibt keine freilebenden Bären, nicht in der Nordmarka.«
»Dann lies mal den ganzen Artikel. Für die Polizei steht fest, dass es ein Bär war.«
Rasch blätterte er die zehn Seiten durch, die sich mit dem Topthema des Tages beschäftigten.
»Ich bin ihr im Wald begegnet. Unmittelbar bevor sie verschwunden ist.«
»Was? Warum hast du das nicht früher gesagt?«
Er warf einen Blick in das Wartezimmer, in dem der erste Patient Platz genommen hatte, ein pensionierter Offizier, der seinen Vater gekannt hatte.
»Weil ich so viel um die Ohren hatte, Rita.«
Er hörte, wie Miriam und Rita am Empfang miteinander redeten. Kurz darauf vernahm er Schritte auf dem Gang, die an seinem Behandlungszimmer vorübergingen. Sie schloss Olas Büro auf. Axel öffnete die Patientenakte des Oberleutnants a.D. und besah sich die Laborergebnisse. Der Hämoglobinwert war seit dem letzten Mal ein wenig gesunken. Erneut hörte er ihre Schritte. Er ging die anderen Werte des Blutbilds durch. Es klopfte an der Tür, die immer noch angelehnt war. Er räusperte sich, aber ehe er etwas sagen konnte, stand sie schon vor ihm. Er scrollte das Dokument weiter nach unten und studierte die letzten Zahlen, bevor er aufblickte. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, so dass diese klickend ins Schloss fiel. Unter dem
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