Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
sechs.«
Vikens Augen verengten sich.
»Eine Woche nachdem sie vermisst gemeldet wurde. Fragt sich also, was sie die ganze Zeit dort im Wald getrieben hat. Sieht der Körper Ihrer Meinung nach so aus, als hätte er vier, fünf Tage lang dort draußen gelegen?«
»Eher nicht«, antwortete Jennifer. »Aber ich will das nicht völlig ausschließen. Andererseits haben wir die Reste von Mauerputz unter ihren Fingernägeln gefunden. Auch an ihrer Kleidung. Das muss nicht unbedingt etwas bedeuten, doch vom Waldboden stammen die bestimmt nicht.«
»Gibt es Anzeichen für ein Sexualverbrechen?«
»Nein.«
»Ich habe schon viele Tiere gesehen, die von einem Bären gerissen wurden«, warf Norbakk ein. »Und die Kratzspuren an Hals und Rücken lassen nur eine Erklärung zu.«
Ovesen räusperte sich.
»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Ich habe zwar noch nie einen Menschen gesehen, der von einem Bären angegriffen wurde, aber wir verfügen über einschlägiges Bildmaterial. Es muss sich um einen ausgewachsenen Bären gehandelt haben.«
»Sind Sie da ganz sicher?«, hakte Viken nach.
Ovesen öffnete den Mund und räusperte sich mehrmals, eine Angewohnheit, die dem Kommissar bereits auf die Nerven ging.
»Wir werden die Fotos zur Universität Edmonton nach Kanada schicken«, ließ der Tierexperte verlauten. »Dort besitzen sie genügend Vergleichsmaterial.«
»Hätte ein Bär nicht den Bauch der Frau aufgerissen?«, fragte Viken.
Ovesen schüttelte den Kopf.
»Wir Menschen passen nicht ins Beuteschema eines Bären. Natürlich kann er uns Kratz- oder Bisswunden zufügen, doch extrem selten greift ein Bär einen Menschen an, um ihn zu fressen. Es sei denn, es handelt sich um ein stark unterernährtes Tier.«
»Wir sollten nicht vergessen, dass Meister Petz ein Aasfresser ist«, bemerkte Norbakk. »Und als solcher würde er bestimmt auch mit einem toten Menschen vorliebnehmen.«
»Das ist richtig«, bestätigte der Wissenschaftler. »Möglicherweise hatte er gerade damit begonnen, sich an der Leiche zu schaffen zu machen, als er gestört wurde. Vielleicht wurde er durch irgendwas aufgeschreckt.«
Da meldete sich Jennifer Plåterud zu Wort:
»Ich kann Ihnen versichern, dass die Frau noch am Leben war, als ihr diese Verletzungen zugefügt wurden.«
Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen.
»Aber die Spuren am Fundort sahen ganz frisch aus«, gab Norbakk zu bedenken.
Erneut bekräftigte der Tierforscher seine Einschätzung.
»Die sind höchstens ein oder zwei Tage alt. Wir sollten auch daran denken, dass es vor fünf Tagen geregnet hat.«
Viken warf Norbakk einen anerkennenden Blick zu. Er war äußerst zufrieden damit, seinen Kollegen mitgenommen zu haben. Wozu brauchen wir überhaupt Experten, dachte er, während er in sich hineingrinste, wenn wir auch alles alleine herausfinden können.
»Vorläufig lässt sich also feststellen, dass alle sichtbaren Verletzungen von einem Bären verursacht wurden«, begann er und warf Jennifer Plåterud über die halb obduzierte Leiche hinweg einen Blick zu.
»Nicht so voreilig, Herr Kommissar«, entgegnete sie und zeigte mit dem Skalpell auf eine bestimmte Körperstelle.
Ihr puppenhaftes Lächeln nahm das ganze Gesicht in Anspruch und offenbarte einige Falten, die von ihrem Make-up überdeckt worden waren. Viken musste an ein Kind denken, das in der Nase gebohrt und einen riesigen Popel gefunden hatte. Er beugte sich über die Tote. Auf dem linken Oberarm waren vier kleine, rote Punkte zu erkennen. Jennifer hielt eine Lupe darüber.
»Einstiche einer Spritze«, konstatierte Norbakk.
»Würde ich auch sagen«, erklärte die Gerichtsmedizinerin. »Es gibt noch mehr davon.«
Die Lupe wanderte zur Innenseite des einen Oberschenkels.
»Beachten Sie auch die roten Striemen an den Handgelenken«, fügte sie hinzu.
Viken warf einen prüfenden Blick darauf.
»Verursacht durch Klebeband?«
»Garantiert. Reste des Klebers befinden sich noch auf der Haut. Und auch hier.«
Ihre Hand vollführte eine kreisende Bewegung um den Mund der Toten.
Vier Stunden nachdem Viken den Obduktionssaal verlassen hatte, bekam er einen Anruf von Jennifer Plåterud.
»Die Ergebnisse der Blutuntersuchung sind da«, sagte sie.
Viken nahm sich einen Stift und schlug eine leere Seite seines Notizblocks auf. Die Gerichtsmedizinerin hätte sich nicht die Mühe eines Anrufs gemacht, wenn sie ihm nicht etwas Besonderes mitzuteilen hätte.
»Wir haben im Blut beträchtliche Mengen einer
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