Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Kittel trug sie das T-Shirt mit ihrem Namen.
»Na, immer noch alles voll im Wäschekorb?«, fragte er und fügte, bevor er sich über seine Bemerkung ärgern konnte, hinzu: »Ich sehe, es geht dir wieder besser.«
Sie trat an seinen Schreibtisch.
»Immer noch etwas heiser, aber ansonsten geht’s.«
Er stand auf und setzte sich auf die Tischkante.
»Miriam …«, sagte er, »was für ein schöner Name.«
Er legte den Arm um sie, und sie schmiegte sich an ihn. Er strich ihre Haare nach hinten, legte sein Gesicht an ihren Hals und sog ihren Duft ein. Er erinnerte ihn an etwas, das er vergessen hatte.
Das Telefon klingelte. Er lehnte sich über den Tisch, ohne ihre Hand loszulassen.
»Bist du bereit für den ersten Patienten?«, fragte Rita. Vermutlich wollte sie ihn darauf aufmerksam machen, dass er schon zehn Minuten verspätet war.
»Schick ihn rein. Hast du ihn darüber informiert, dass wir derzeit eine Praktikantin haben?«
»Hab ich. Aber noch was anderes: Gerade hat jemand von VG angerufen. Ich sagte, du hättest keine Zeit.«
» VG? Was wollen die denn von mir?«
»Eine Journalistin namens Fredvold sagte, sie würde sich gerne mit dir unterhalten. Ich habe ihr geraten, es heute Mittag noch mal zu probieren.«
Plötzlich war Axel verärgert.
»Hör zu, Rita, für diese Zeitungsleute habe ich nun wirklich keine Zeit!«
»Na gut«, entgegnete sie verdutzt. »Was soll ich ihnen sagen?«
»Sag ihnen einfach, dass ich den ganzen Tag lang beschäftigt bin. Das entspricht übrigens auch der Wahrheit.«
19
N äher kann man dem Gefühl, Chirurg zu sein, nicht kommen«, bemerkte Viken, als er und Norbakk in die grünen Einmalkittel schlüpften, sich farblich einigermaßen passende Hauben über den Kopf stülpten sowie den blauen Plastikschutz über die Schuhe zogen.
»Das genügt mir auch vollkommen. Jedenfalls habe ich noch keinen Arzt kennengelernt, dem man vertrauen konnte.«
»Im Moment siehst du eher aus wie ein Koch«, entgegnete Norbakk grinsend, als sie den hell erleuchteten Obduktionssaal betraten, der sich im Untergeschoss des Rikshospitals befand.
Viken hasste es, seine Zeit zu verplempern, also war er zum Gerichtsmedizinischen Institut gefahren, ohne dass Dezernatsleiterin Finckenhagen davon wusste.
»Eigentlich ist ja gleich Mittagszeit«, sagte er, indem er sich an der Nase kratzte, »aber der Geruch hier schlägt mir auf den Magen.«
Zwei Personen befanden sich bereits in dem Saal. Sie beugten sich über einen Tisch aus Stahl. Die eine von ihnen, eine winzige Frau in den Vierzigern mit einem stark geschminkten Puppengesicht, kannte Viken von früher. Schon oft hatte er mit der Gerichtsmedizinerin Jennifer Plåterud zusammengearbeitet, und da er sogleich bemerkt hatte, dass ihr Verstand genauso scharf war wie ihre Zunge, behandelte er sie mit einem Respekt, der nur wenigen seiner Mitmenschen zuteilwurde. Über die meisten seiner Kollegen war er gut informiert. In seinem Kopf hortete er jede Menge nützliche Informationen über sie – manche hatte er sogar zu Papier gebracht –, und mehr als einmal hatte er schon aus Jennifer herauszubekommen versucht, was sie eigentlich nach Norwegen verschlagen hatte. Denn sie dürfte Canberra auf der anderen Seite der Erdkugel ja wohl kaum wegen dieses Bauerntölpels aus Romerike verlassen haben, den sie später geheiratet hatte. Doch Jennifer war die reinste Sphinx, was ihr Privatleben anging, und so trat Viken bei dieser Frage nach wie vor auf der Stelle.
Die andere Person am Obduktionstisch, ein mittelgroßer Mann mit Brille und gepflegtem Bart, kannte er nicht.
»Fredrik Ovesen«, stellte der Bärtige sich vor und räusperte sich, »vom Zoologischen Institut.«
»Herr Ovesen ist der größte Raubtierexperte, den sie dort haben«, erklärte Jennifer in einwandfreiem Norwegisch, allerdings mit breitem australischen Akzent. Obwohl sich unter ihren Plastiküberzügen Stöckelschuhe verbargen, musste sie sich strecken, um über den Obduktionstisch blicken zu können.
»Wie weit sind Sie schon gekommen?«, fragte Viken mit Blick auf die Leiche, die er zuletzt im Wald, wenige Kilometer von Ullevålseter entfernt, gesehen hatte. Ihr Brustkasten war aufgeschnitten, das Herz und beide Lungenflügel entfernt worden.
»Morgen werde ich den vorläufigen Obduktionsbericht schreiben«, versprach sie, und Viken konnte sich nicht erinnern, dass sie je ein Versprechen gebrochen hätte.
»Todeszeitpunkt?«
»Vor vier bis fünf Tagen, allerhöchstens
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