Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
ein.
»Ich habe die ganze Nacht nachgedacht. Das ist eine eindeutige Warnung. Schreckliche Dinge stehen uns bevor, und wenn ich und vielleicht noch einige andere davon wissen, dann bin ich verpflichtet, die anderen zu warnen. Das war es, was die Alte von mir wollte.«
Sie sagte das mit voller Überzeugung, und Axel war klar, dass er wieder einmal in der Psychiatrie anrufen und sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen musste, dass sie eine Patientin zu früh entlassen hatten. Er wusste, dass er ihr keine weiteren Fragen stellen sollte. Trotzdem sagte er: »Als Sie das letzte Mal bei mir waren … da erzählten Sie davon, einen Mann gesehen zu haben, der so aussah wie ich … in Majorstua.«
Sie starrte unverwandt auf den Boden. Sie schien seine Frage nicht verstanden zu haben. Im Grunde war er froh darüber, weil er bereits bereute, sie gestellt zu haben. Da hob sie den Kopf und sah ihn an.
»Er hat sich nicht wieder gezeigt, Axel. Aber er wird kommen. Erst wenn all das Böse passiert ist, wird er zurückkehren. Ich werde dich warnen. Vor allen anderen wirst du Bescheid wissen.«
Als er gerade sein Behandlungszimmer abschließen wollte, klingelte das Telefon. Es gab nicht viele, die seine Durchwahl hatten. Miriam war eine von ihnen. Auf dem Display erschien eine Nummer aus Oslo. Er meldete sich. Die männliche Stimme auf der anderen Seite stellte sich als Hendrik Davidsen vor, mit deutlich vernehmbarem d in der Mitte des Vornamens.
»Meine Frau ist eine Patientin von Ihnen«, begann er. »Sie hatte heute einen Termin …«
»Das stimmt«, entgegnete Axel. »Cecilie Davidsen. Aber sie ist nicht gekommen.«
»Deshalb rufe ich auch an. Niemand hat sie seit gestern Nachmittag mehr gesehen.«
Axel setzte sich in seinen Drehstuhl.
»Wie bitte? Hatte sie gestern nicht einen Untersuchungstermin im Ullevål-Krankenhaus?«
»Das ist richtig. Sie hat das Krankenhaus um Viertel nach vier verlassen. Seitdem hat sie kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. So etwas hat sie früher noch nie getan.«
Hendrik Davidsen war um Fassung bemüht, doch bei dem Wort Lebenszeichen konnte ihm Axel seine Verunsicherung deutlich anhören.
»Haben Sie schon die Polizei verständigt?«
»Ja, sie wurde vermisst gemeldet. Mehr können sie fürs Erste nicht tun.«
Axel verkniff sich die Frage, was fürs Erste in einer solchen Situation zu bedeuten hatte. Er informierte ihn über die Krankheit seiner Frau. Die Details schienen ihm bekannt zu sein. Gott sei Dank sagte Davidsen nichts dazu, dass er seine Frau bei ihnen zu Hause aufgesucht hatte. Allerdings wollte er mehr darüber wissen, wie sie die Diagnose aufgenommen hatte, und Axel vermied jede Formulierung, die seine Besorgnis noch hätte steigern können. Es gab immer noch Grund zur Hoffnung, dass nichts Ernstes passiert war. Doch Axel wusste, dass dies mehr Hoffnung als Überzeugung war.
24
Montag, 15. Oktober, nachts
D ie beiden Leute, die am Eingang zum Frognerbad die Straße überquerten, stritten sich wie die Kesselflicker. Die kleine, stämmige Frau mit den Rastazöpfen blieb mitten auf der Fahrbahn stehen. Sie schwankte auf ihren Stilettos hin und her, als versuchte sie, auf Stelzen zu gehen.
»Dann hau doch ab, Jørgen!«, brüllte sie. »Wenn du so drauf bist, dann kannst du mich mal am Arsch lecken!«
Ein Auto bog vom Parkplatz auf die Straße ein. Jørgen packte sie am Arm und zerrte sie zum Bürgersteig auf der anderen Straßenseite. Das Auto fuhr im großen Bogen um sie herum.
»Verdammt, Jørgen, dann mach ich eben mein eigenes Ding, wenn du dich nicht zusammenreißt.«
»Ich soll mich zusammenreißen?«, rief er. Er war groß und hager und hatte einen krummen Nacken. »Es ist ja wohl nicht meine Schuld, dass sie uns rausgeschmissen haben.«
»Du bist kindisch«, stellte sie fest.
Er schnaubte.
»Und wie willst du dich alleine durchschlagen?«
»Geht dich nichts an.«
»Ach, Scheiße, Millie, du bist doch nichts anderes als eine abgefuckte Nutte! Wenn du wüsstest, wie sehr du mich ankotzt!«
»Du kapierst überhaupt nichts, schau dich doch selber an!«
»Ja und? Was gibt’s da zu sehen?«
Sie antwortete nicht. Dann sagte sie:
»Okay, okay, aber du besorgst ein Taxi.«
»Hab keine Kohle mehr.«
»Glaubst du etwa, ich lauf bis nach Skøyen, mitten in der Nacht?«
Er rülpste und zog sie auf den Parkplatz.
»Dann pennst du halt im Park.«
Sie blieb abrupt stehen.
»Hey, es ist nach zwei.«
»Ist doch gar nicht weit. Ich setz mir einen
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