Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
die Jacke enger um sich zusammen.
»Ich glaube nicht, dass du dich klug verhältst«, murmelte er vor sich hin. Klug wäre es, die Journalistin anzurufen und sich für sein ruppiges Verhalten zu entschuldigen. Ihr höflich all ihre Fragen zu beantworten, damit sie genug Material für die nächste Ausgabe hatte. Aus dir soll jemand werden, der Verantwortung für seine Taten übernimmt, Axel . Er sollte Miriam anrufen oder zu ihr fahren und sich auch bei ihr entschuldigen. Er sollte zugeben, dass er zu weit gegangen war und seine Stellung ausgenutzt hatte. Sollte ihr sagen, dass sie sich niemals wiedersehen durften. Doch im Grunde sollte er nicht Miriam aufsuchen, sondern Brede. Falls er ihn irgendwo finden konnte. Er hatte ihren Pakt gebrochen und ihn verraten. Als könnte er das mit einer Entschuldigung aus der Welt schaffen. Du kannst mich mal! Sie waren eineiige Zwillinge. Als sie noch klein waren, war es unmöglich, sie auseinanderzuhalten, solange sie sich nicht bewegten und nichts sagten. Doch Bredes Stimme war anders, hatte die Mutter immer gesagt. Brede fragte auch nie, behauptete sie, sondern forderte nur. Das stimmt nicht, dachte er. Unterschwellig schwang in Bredes Stimme immer irgendetwas mit. Ein Ton, dem niemand gewachsen war. Brede war zum Opfer geworden. Er musste geopfert werden, damit aus seinem Bruder etwas werden konnte. Ihre gemeinsame Existenz war ein Fehler, denn im Leben war nur für einen von ihnen Platz.
Hätte er es verhindern können? Wenn er nichts gesagt hätte … Er war fünfzehn Jahre alt gewesen, als man Brede weggeschickt hatte. Zu dieser Zeit hatte Brede bereits aufgehört, einen Widerstandskämpfer auf der Flucht zu spielen. Stattdessen stiftete er die jüngeren Kinder in der Nachbarschaft zu Nazispielen mit ihm an. Brede war ihr Anführer und nannte sich HHH – Hitler, Himmler und Heydrich in einer Person. Wenn die kleinen Jungs abends nach Hause kamen und ein mit Teer auf die Brust geschmiertes Hakenkreuz hatten, weigerten sie sich hartnäckig zu erzählen, was genau sie gespielt hatten. Selbst als sie eines Tages im Wald bei Svennerud entdeckt wurden – halbnackt und ausgelassen, während Brede mit einer Pistole seines Vaters herumfuchtelte –, traute sich keiner, sie zu verraten. Nicht zu diesem Zeitpunkt hatten sie ihn weggeschickt, sondern später, im Sommer. Deshalb frage ich dich, Axel. Und ich frage nur einmal.
Axel machte sich in der Küche zu schaffen. Bie und Marlen würden erst in einer Stunde kommen. Er öffnete den Brotkasten, fand aber nur einen alten Kanten. Da fiel ihm ein, dass er versprochen hatte, auf dem Heimweg einzukaufen. Als er gerade einen prüfenden Blick in den Kühlschrank werfen wollte, meldete sich sein Handy. Die Nummer auf dem Display war ihm unbekannt. Eigentlich wollte er mit niemand sprechen, ging aber trotzdem ran.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Axel?«
Er erkannte die Stimme von Solveig Lundwall. Sie hatte ihn erst einmal zuvor privat angerufen. Das war kein gutes Zeichen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er.
»Du musst mit Per Olav sprechen«, meinte sie fordernd. »Er trinkt noch mehr als früher. Literweise. Ich weiß, dass du ihm gesagt hast, dass er weniger trinken soll, aber auf so etwas hört er nicht. Er stürzt sich auf die Milch, sobald er nach Hause kommt. Die Kinder auch, aber vor allem Per Olav. Nachts steht er auf und geht an den Kühlschrank. Und morgens ist dann alles weg. Ich halte das nicht länger aus.«
Er ließ sie einfach weitersprechen. Erst als sie Luft holte, warf er ein:
»Ich werde mit Per Olav reden. Wir können einen Termin vereinbaren.«
Sie war es, die so schnell wie möglich einen Termin brauchte. Er wollte gerade den nächsten Tag vorschlagen, als sie sagte:
»Ich habe ihn gesehen. Den Mann, nach dem du gefragt hast.«
»Habe ich nach jemand gefragt?«
»Du hast gefragt, ob ich einen Mann gesehen hätte, der aussieht wie du. Der so ist wie du. Ich habe ihn gesehen. Ich bin ihm gefolgt. Niemand weiß von ihm. Aber die Zeit ist nah, Axel, das weißt du. Die Zeit ist nah.«
»Sie sind ihm gefolgt?«, fragte Axel und überlegte, ob er umgehend das Krankenhaus verständigen sollte.
Es vergingen ein paar Sekunden, ehe sie antwortete:
»Ich rufe an, um dich zu warnen, Axel Glenne.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, dass Sie an mich denken.«
»Nett? Du musst mir zuhören, statt einfach daherzureden und alles besser zu wissen.«
»Ich höre …«
»Gestern«, begann sie. »Gestern habe ich
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