Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
die Tür öffnete, war grauhaarig und schmächtig, besaß jedoch den gut entwickelten Hals eines Truthahns. Ihr Gang war gebeugt, während sie unsicher zwischen Nina und ihrem Dienstwagen hin- und herblickte, der auf dem Vorplatz stand.
»Worum … worum geht es denn?«
»Arbeitet Åse Berit Nytorpet hier?«
Die Frau mit dem Truthahnhals nickte zögerlich. Nina zeigte ihre Dienstmarke.
»Es ist alles in Ordnung«, fügte sie hinzu, als sie den erschreckten Blick sah. »Ich möchte ihr nur ein paar Fragen stellen.«
Sie wurde ins Wohnzimmer geführt. In einem Rollstuhl am Tisch saß eine Frau unbestimmten Alters. Sie war spindeldürr, rollte mit den Augen und gab leise, katzenähnliche Laute von sich.
Eine hochgewachsene, grobschlächtige Frau, die einen Norwegerpullover sowie einen Rock und Filzpantoffeln trug, stand auf.
»Åse Berit Nytorpet?«
»Ja, das bin ich.«
Nina Jebsen stellte sich erneut vor.
»Ich bin in einer bestimmten Angelegenheit hierhergekommen und hoffe, dass Sie mir helfen können.«
Die Frau schien in den Sechzigern zu sein. Sie runzelte die Stirn und machte einen misstrauischen Eindruck.
»Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten? Es wird nicht lange dauern.«
Åse Berit Nytorpet blickte zu der anderen Frau hinüber. »Dann setzen wir uns in die Küche«, entschied sie. »Signy, gehst du mal zu Oswald und holst ihn für eine Weile ins Wohnzimmer?«
Die Frau mit dem gebeugten Rücken und dem Truthahnhals sah immer noch ängstlich aus, und Nina wiederholte, dass sie nur ein paar Routinefragen stellen wolle.
In der Küche goss Åse Berit Nytorpet Kaffee in einen Becher und stellte ihn ungefragt vor der Polizistin auf den Tisch. Nina bedankte sich in aller Form und fragte:
»Wir ermitteln derzeit in zwei Fällen, von denen Sie bestimmt schon gehört haben. Es geht um die beiden Frauen, die in Oslo tot aufgefunden wurden.«
Ihre Gesprächspartnerin presste die Lippen zusammen.
»Wir wohnen zwar auf dem Land, aber ein bisschen was kriegen wir hier auch mit.«
»Natürlich, so war das auch nicht gemeint.«
Nina Jebsen nippte an ihrem Kaffee. Frisch aufgebrüht und pechschwarz.
»Sehr gut, der Kaffee«, lobte sie. »Hätten Sie vielleicht einen Schuss Milch?«
Sie nahm ihren Becher und goss ein bisschen Kaffee ins Spülbecken, um Platz für die Milch zu schaffen.
»Es geht das Gerücht um, jemand könne einen Bären gefangen und in der Nordmarka freigelassen haben.«
Åse Berit Nytorpet sperrte die Augen auf.
»Sind Sie hierhergekommen, um mich das zu fragen?«
»Was könnte der Grund dafür sein, ausgerechnet Sie zu fragen?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Wir haben einen Hinweis erhalten, dass Sie über ein solches Vorhaben informiert sein könnten.«
Åse Berit Nytorpet stand auf.
»Das glaube ich nicht.«
»Es ist aber so.«
Sie warf der Polizistin einen argwöhnischen Blick zu.
»Wer zum Teufel hat Ihnen so was erzählt?«
»Wir bekommen zahlreiche Tipps und Hinweise. Über die Quelle kann ich Ihnen nichts sagen. Aber uns ist auch nicht entgangen, dass Ihr Mann sich einer Zeitung gegenüber entsprechend geäußert hat.«
Sie faltete ein Blatt Papier auseinander. Es war die Kopie des besagten Zeitungsartikels. Åse Berit Nytorpet warf einen kurzen Blick darauf.
»Herrje, das ist doch mehrere Jahre her. Sie glauben doch wohl nicht, dass mein Mann Bären fängt und sie in Oslo freilässt?«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle. Aber ich bin verpflichtet, den verschiedensten Spuren nachzugehen. Jedenfalls hat Ihr Mann gesagt …« Sie las aus dem Artikel vor: »… dass jemand auf die Idee kommen könnte, da unten mal einen Bären auszusetzen. Vielleicht muss erst so was passieren, damit die Leute den Ernst der Lage begreifen.«
»Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie viel Arbeit so eine Schafzucht macht? Das ist unser Leben.« Ihre Augen waren schwarz geworden. »Und wissen Sie, wie es ist, morgens überall tote Tiere zu finden? Da hat man ja wohl allen Grund, wütend zu werden!«
Das konnte Nina Jebsen nachvollziehen.
»Und wenn man gerade eine ganze Wagenladung mit Tierkadavern entsorgt hat, dann kann einem schon mal das eine oder andere rausrutschen.«
Nina bestätigte, dass es kein Verbrechen war, seine Wut zum Ausdruck zu bringen.
»Könnte ich mit Ihrem Mann sprechen? Zu Hause habe ich ihn nicht angetroffen.«
Åse Berit Nytorpet warf irritiert ihren Kopf in den Nacken.
»Der ist mit meinem Cousin unterwegs.«
»Und wo sind die
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