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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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Tagen dort sitzen sehe …«
    »Du hast mich gesehen?«
    »Ja. Mir ist schließlich klargeworden, dass du nicht weggehen würdest. Nicht, ohne Bescheid zu wissen. Doch jetzt weißt du Bescheid.«
    »Was werden wir tun, Lucienne?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es gibt kein wir mehr.«
    »Was wirst du tun?«, korrigierte er sich, um Fassung bemüht.
    In seinem Kopf dröhnte es quälend: Mach ja keine Szene, du hast es versprochen, keine Szene, sonst schmeißen sie dich raus.
    »Ich werde hierbleiben, mit dem Kleinen.«
    »Und wovon willst du leben?«
    »Die Stiftung übernimmt alle Kosten. Für unsere Unterbringung, Verköstigung, Pflege, für die Behandlung des Jungen und für seine Ausbildung. Für alles.«
    »In Erwartung welcher Gegenleistung?«
    »Später soll der Kleine für Dr. Vesalius arbeiten. In einer seiner Werkstätten oder vielleicht in seiner Revue. Das steht noch nicht fest.«
    »Oder vielleicht in seinem Bordell?«, rief Fernand, der sich nicht mehr zurückhalten konnte. »Ist das die Zukunft, die du dir für unseren Sohn erträumt hast?«
    Ohne die Ruhe zu verlieren, erwiderte sie:
    »Es ist nicht unser Sohn, Fernand. Mein Sohn. Wenigstens biete ich ihm überhaupt eine Zukunft. Du wolltest ihm gar keine geben.«
    »Lucienne! Lucienne!«, murmelte er, über seine Unbeherrschtheit bestürzt.
    Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie wich jäh zurück.
    »Versteh doch, Fernand: Es ist vorbei. Ich komme nicht wieder.«
    Sie stand auf, um zu unterstreichen, dass es zu Ende war, das Gespräch und alles andere. Sie wirkte sehr klar und entschieden. Und so trennten sie sich, ohne Aussicht auf ein Wiedersehen – das wollte sie nicht.
    Die Scheidung wurde im November vollzogen. Im gegenseitigen Einvernehmen. Die Beteiligten wollten jede Komplikation vermeiden. Einen Monat später setzte Lucienne Fernand darüber in Kenntnis, dass das Kind zur Welt gekommen war. Den Vornamen nannte sie nicht, sie stellte lediglich klar, dass Fernand die Vaterschaft nicht anerkennen sollte, in Anbetracht der Umstände .
    Was soll ich dazu noch sagen? Lucienne war weg, weit weg, in einer anderen Welt, und es fiel mir schwer zu begreifen, dass ich sie nie wiedersehen würde. Sie fehlte mir, ihre Zärtlichkeit, ihre Ängste, ihre Freuden, ihre Musik. Auf einmal wurde mir klar, wie unüberlegt ich gehandelt hatte. Monsieur Kauffmann, Fernand, Lucienne – ich hatte sie alle nach und nach ins Herz geschlossen, ohne es zu wollen, ja sogar ohne es richtig zu merken. Natürlich liebte ich sie nicht ganz so sehr, wie ich meine Mutter liebte, aber immerhin genug, um zu leiden. Ich war meinen Gefühlen auf den Leim gegangen, etwas, das man um jeden Preis vermeiden sollte. Nun musste ich dafür die Zeche zahlen und stellte fest, dass sie unerschwinglich war. Ein Luxusgut, das man sich lieber nicht leisten sollte, wenn einem das Herz bereits gebrochen wurde.
    Und so beschloss ich, fortan besser aufzupassen. Abstand zu halten. Mich auf keinen Fall zu binden. Mich zu schützen, alles zweimal abzuschließen – um mir Frieden und Sicherheit zu bewahren. Das war lebensnotwendig. Ich wusste, dass ein weiterer Verlust mich umbringen würde.

Fernand
    Es dauerte Monate, bis Fernand sich von Luciennes Weggang erholt hatte. Erholen ist nicht das richtige Wort. Er war nicht mehr der Alte, auch wenn er so tat als ob. Oft war er in Gedanken woanders, hielt ohne Begründung mitten im Satz inne und verstummte minutenlang. Er dachte natürlich an sie. Die Antidepressiva konnten da nichts ausrichten. Das wusste ich selbst nur zu gut.
    Fernand litt nicht als Einziger. Pascha siechte förmlich dahin. Nach und nach verlor er sein ganzes Fell. Dabei handelte es sich nicht um den üblichen Wechsel von einer Farbe zur anderen, sondern um einen heftigen Haarausfall. Fernand erzählte mir, dass er sich tagaus, tagein mühsam durch die Gegend schleppte und überall leuchtende Fellbüschel hinterließ. Es bricht mir das Herz, aber was soll ich tun? Ich antwortete nicht. Dazu gab es nichts zu sagen. Pascha trauerte auf seine Weise um den Verlust seines Frauchens.
    Trotz – oder gerade wegen – seines Kummers konzentrierte sich Fernand voll und ganz auf seine Tutorenrolle. Die Zeit drängte. Ich war fünfzehn. In knapp drei Jahren stand die Prüfung an, die zeigen sollte, ob ich gesellschaftsfähig war oder nicht. Laut Fernand hatten wir das noch längst nicht in der Tasche.
    »Und was passiert, wenn ich die Prüfung nicht bestehe?«
    »Dann wird man dir

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