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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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Das ärgert mich, auch wenn’s nicht weh tut.«
    »Sie dürfen doch nicht zulassen, dass man Sie so quält, Justinien! Sie müssen das melden.«
    »Da kann man nichts machen: Monsieur Templeton ist grad nicht da, und Monsieur Copland kann mich auf den Tod nicht leiden. Machen Sie sich deswegen aber keinen Kopf, Mamiselle. Mir ist das eh wurscht. Weil ich nämlich Dichter bin.«
    Ich sah ihn verblüfft an. Er lachte:
    »Ja, echt! Abends schreibe ich Gedichte. Ich habe da eine gewisse Begabung, müssen Sie wissen. Ich schreibe Gedichte, und darum ist mir das egal, wenn die anderen nicht so nett sind. Die Kunst tröstet über alles hinweg, Mamiselle.«
    Ab und zu blitzte solch eine tiefe Erkenntnis bei ihm durch, erinnern Sie sich? Als wäre sein sonst so ungeschliffener Geist sich schlagartig seiner selbst bewusst geworden, für einen lichten Moment, um dann wieder zu verdämmern. Die Kunst tröstet über alles hinweg. Auch deswegen mochte ich Justinien so gern. Weil er einen oft mit diesen wunderbaren kleinen Perlen überraschte, die ihm ohne Vorwarnung über die rissigen Lippen kullerten.
    Sobald er weg war, machte ich mich an die Arbeit und hing den ganzen Vormittag über dem Scanner. Um 13 Uhr fuhr ich hinunter, um auf der Esplanade einen Salat zu essen, am Fuß des Memorials – ich brachte noch nicht den Mut auf, die Bibliothekskantine zu besuchen. Fernand hatte mir natürlich geraten, dort hinzugehen.
    »Eine tolle Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen.«
    Worauf ich sagte:
    »Sicher, Fernand, gute Idee. Lassen Sie mir nur ein bisschen Zeit, um mich damit anzufreunden.«
    Und er nickte verständnisvoll. So hatte ich immerhin einen Moment gewonnen.
    Manchmal nutzte ich die Mittagspause auch, um in den Lesesaal zu gehen und ein paar unbedeutende Recherchen anzustellen, um mich mit dem Programm vertraut zu machen. Ich wagte mich noch nicht an die Themen, die mir wirklich am Herzen lagen. Ich stand schließlich unter Beobachtung. Da durfte ich nicht unbedacht vorgehen.
    Um 14 Uhr kehrte ich an meinen Posten zurück und machte mich unterwegs so dünn wie möglich. Falls mir ein Kollege begegnete, reagierte ich stets so höflich wie ausweichend. Keiner von ihnen weckte mein Interesse.
    Um 17 Uhr fuhr ich mit dem Shuttle heim, erschöpft und zufrieden. Ich hatte wirklich meinen Traumjob gefunden.
    Ab und zu traf ich die Hausmeisterin, jedes Mal wieder eine Zumutung, weil sie so hässlich war und so böse dreinschaute. Seit ich abgelehnt hatte, dass sie in meiner Wohnung das Hintergrunddekor einstellte, zeigte sie mir die kalte Schulter. Ich konnte ihr noch so freundlich begegnen – Guten Morgen, Madame; Guten Abend, Madame; Einen schönen Tag noch, Madame  –, sie taute einfach nicht auf. Einmal habe ich sogar ihre Zunge kurz zwischen ihren dünnen Lippen hervorschnellen sehen, lang, braun und gespalten, mit diesem Zischen, das für Kaltblüter so typisch ist. Als sie bemerkte, wie ich zurückschreckte, lächelte sie, offensichtlich erfreut, weil sie mir Angst eingejagt hatte. Deswegen habe ich Fernand davon erzählt.
    »Kein Grund zur Panik«, beruhigte er mich. »Das macht sie ab und an, wenn sie gereizt ist – charakterbedingt –, aber weiter geht sie nicht. Sie würde sich niemals trauen, tätlich zu werden.«
    »Wie können Sie sich da so sicher sein?«
    »Weil sie ganz genau weiß, dass ihr beim kleinsten Vorfall umgehend die Euthanasie blüht. Und dieses Risiko wird sie garantiert nicht eingehen. Selbst Chimären haben einen Überlebensinstinkt.«
    »Ich fände es trotzdem angenehmer, anstelle dieser falschen Schlange einen Automaten zu haben!«
    »Das wurde schon mehrfach angedacht, aber es kostet ein Vermögen. Unterm Strich ist die Chimäre günstiger, also nimmt man ihre Macken hin … Trotzdem können wir nicht dulden, dass sie sich einen Spaß daraus macht, dich zu erschrecken. Ich werde der Hausverwaltung Bescheid geben.«
    Fernands Beschwerde zeigte Wirkung: Die Hausmeisterin erhielt eine Abmahnung sowie unmissverständliche Drohungen und passte fortan auf. Fernand hatte recht: Selbst Chimären haben einen Überlebensinstinkt.
    Der liebe Fernand, natürlich ging er mir zuweilen auf die Nerven, aber ich erkenne an, dass er immer für mich da war, wenn ich ihn brauchte. Er besuchte mich jeden Samstag am späten Nachmittag, beantwortete meine Fragen, erteilte mir gute Ratschläge, half mir bei meinen Bestellungen. Ich weiß nicht, wie ich es ohne ihn geschafft hätte.
    Jeden Sonntag drehte ich eine

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