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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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die sich um die Lamellette ballte, sie steckte irgendwo in einem dieser Artikel. Der Name meiner Mutter, endlich. Jetzt musste ich nur noch Justinien breitschlagen.
    Im Lauf unserer Gespräche hatte ich eine Menge über die Bibliothek in Erfahrung gebracht und dabei festgestellt, dass die Magazinräume vergleichsweise locker überwacht wurden: Eine einzige Arbeitskraft verwaltete die Kameras, die im Untergeschoss über mehrere Lagerebenen verteilt waren. Das war verschwindend wenig angesichts des Heers von Lageristen, die von morgens bis abends dort herumwuselten. Tatsächlich war das Sicherheitssystem, das jede Form von Datendiebstahl verhindern sollte, vor allem auf die kontinuierliche Überwachung der Scanner und die elektronische Sicherung der Originale ausgerichtet. Es war vollkommen unmöglich, ein Papierdokument zu stehlen oder unerlaubt zu kopieren, ohne sofort ertappt zu werden. Das Einzige, was die Urheber dieses Systems offenbar nicht berücksichtigt hatten, war die Möglichkeit, dass man Dokumente vorübergehend aus dem Keller schaffte und sie nach der Lektüre schlicht im Gedächtnis bewahrte. Und genau das war mein Plan.
    »Was würde eigentlich passieren, Justinien, falls Sie mal einen Artikel aus dem Magazin holen würden, der nicht auf Ihrer Tagesliste steht?«
    »Aber das passiert mir nie, dass ich da was verwechsle! Ich halte mich immer genau an die Liste.«
    »Und wenn Sie es eines Tages absichtlich tun wollten, wäre das überhaupt möglich?«
    »Warum sollte ich so was tun, Mamiselle? Das sieht mir gar nicht ähnlich.«
    »Das ist mir schon klar, Justinien. Es war reine Gedankenspielerei …«
    »Geht so oder so nicht, weil es nämlich streng verboten ist. Und Madame Cléry hockt in ihrer kleinen Kabine und behält mit den Überwachungskameras alles im Blick. Wenn sie mich bei einer Dummheit erwischt, wird sie das gleich Monsieur El Kassif melden, dem Leiter der Sicherheitsabteilung. Und das wäre das Aus für mich!«
    Nun zitterte er am ganzen Leib und kratzte sich manisch die Arme vor lauter Panik über die Wendung, die unser Gespräch genommen hatte.
    »Hören Sie auf, Justinien, Sie tun sich noch weh!«
    »Mir tut nie was weh, Mamiselle. Ich fühle keinen Schmerz. Angst aber schon. Und wie.«
    Da begriff ich, dass es bei weitem nicht so glattlaufen würde, wie ich gehofft hatte.
    Zum Glück half mir Pascha, das Ganze durchzustehen. Er hatte sich vollständig erholt und bot einen herrlichen Anblick, so blau leuchtete sein frisch gewachsenes Fell. Ich vermisste es sehr, ihn nicht mehr von Hand füttern zu müssen. Jedes Mal, wenn ich die Pastete mit Hilfe eines kleinen Löffels auf seinen Unterteller gleiten ließ, sorgte ich dafür, dass ein bisschen an meinen Fingern haften blieb. Danach steckte ich sie mir diskret in den Mund, mit dem Rücken zur Kamera. Das war meine einzige Schwäche.
    Pascha stürzte sich mit erstaunlichem Appetit auf sein Fressen, als wollte er auf einen Schlag all die Trauerjahre wettmachen. Er war schier unersättlich und verlangte stets nach mehr. Wenn ich zu Abend aß, schmiegte er sich an meine Beine und miaute, um einen Bissen abzubekommen. Ich steckte ihm unauffällig Fleischbällchen zu, ein Häppchen Huhn oder gegrillte Heuschrecke, die er mit Genuss verspeiste. Nichts war für mich tröstlicher als der Lärm, den das hungrige kleine Raubtier mit seinen gierigen Zähnen unter dem Tisch veranstaltete. Wenigstens etwas, das wie vorgesehen lief.
    Ich blieb weiterhin jeden Morgen verträumt vor den traurigen Porträts des großen verlassenen Büros stehen. Ab und zu fiel mir eine Veränderung auf: ein weiterer versiegelter Dokumentenstapel auf dem Schreibtisch oder eine zusätzliche Vitrine, die mit alten Büchern vollgestopft war. Einmal sah ich sogar ein neues Porträt über dem Sideboard – einen Mann mit blassem Gesicht, auf dessen Stirn ein Stern tätowiert war.
    »Monsieur Templeton war dieses Wochenende wieder in der Stadt, um sich mit Monsieur Copland abzustimmen«, hörte ich manchmal von Justinien. »Er hat noch eine Menge in der Zone zu tun, aber er nimmt sich trotzdem immer die Zeit, mich im Wohnheim zu besuchen, wenn er hier ist. Das heißt, dass ich ihm etwas bedeute. Das finde ich ganz wichtig, dass man jemandem etwas bedeutet. Finden Sie nicht auch?«
    »Doch, Justinien, natürlich.«
    »Ich habe ihm von Ihnen erzählt, müssen Sie wissen.«
    Das war mir nicht recht, dass er sich gegenüber Dritten über unsere Beziehung ausließ und dabei

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