Die Ballonfahrerin des Königs
sein Vertrauen. Es war nichts
mehr da. Er machte einen Schritt zurück und kreuzte die Arme über der Brust.
«Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Marie-Provence? Denkst du tatsächlich, du kannst mein Leben zerstören, mich erniedrigen,
und brauchst anschließend nur General Hoche einen netten Brief zu schreiben, um alles wieder ins Lot zu bringen?» Er starrte
sie an. «Louis-Charles ist tot, und deshalb machst du mir diesen Vorschlag. Aber ich akzeptiere es nicht, die zweite Wahl
zu sein, Marie-Provence.»
«Du warst nie zweite Wahl für mich. Doch ich hätte nicht mit dir leben können in dem Bewusstsein, unser Glück mit Charles’
Tod bezahlt zu haben!»
«Möglich. Vielleicht kann ich das sogar verstehen. Aber deine Gründe ändern nichts mehr an der heutigen Situation. Ich habe
dich heute Abend hierhergelockt, damit sie dich festnehmen. Und ich bin nur eingeschritten, weil Croutignac sich eingemischt
hat und ich meinerseits betrogen wurde.» Er schüttelte den Kopf. «Du wirst mir nie mehr vertrauen können, Marie-Provence.
Genauso wenig, wie ich dir je wieder trauen werde.»
«Du irrst.» Sie richtete sich auf, etwas Herausforderndes lag in ihrem Blick. «Ich vertraue dir, André. Wann immer |520| du mich rufst, werde ich kommen. Und jedes Mal, wenn du mich dann bei der Hand fortreißt, um zu fliehen, werde ich dir folgen.»
Sie trat auf ihn zu. Plötzlich, bevor er sie abhalten konnte, lagen ihre Lippen auf den seinen, und sie flüsterte: «Weil ich
dich liebe.» Ihre Fingerspitzen strichen über sein Gesicht. Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie sich von ihm abwandte
und in der Dunkelheit verschwand.
Im selben Augenblick nahm André einen schwachen Schein wahr. Fackeln waberten durch die Nacht, Stimmfetzen wehten durch den
Sturm. André holte tief Luft. Dann lief er ihnen langsam entgegen.
|521| 16. KAPITEL
Messidor, Jahr III
Juli 1795
Der Wind traf den Ballon mit der Wucht eines Ringkämpfers. Warnrufe erklangen von unten. André riss den Kopf hoch, starrte
ungläubig die riesige Delle an, die der Sturm verursacht hatte. Das Netz! Kalt vor Schreck verfolgte er, wie die Seile über
die schlaffe Haut der Hülle glitten. Wenn der Ballon aus dem Netz rutschte, wäre er tot.
Da spannte sich die Seide mit einem ohrenbetäubenden Knall und nahm ihre ursprüngliche Form wieder an. Der angeleinte
Intrépide
schlingerte heftig. André hielt sich am schwankenden Korbrand fest. Auflehnung wallte in ihm auf. Verflixt, was machte er
hier? Ballons brauchten Freiheit, sie wollten mit dem Wind fliegen, von ihm liebkost und geführt werden, nicht sich ihm widersetzen!
Wie konnte er das zulassen?
Er rang nach Fassung. Schluss für heute, weiterhin hier oben zu bleiben, wäre schierer Selbstmord. André zückte einen gelben
und zwei rote Wimpel, beugte sich über den Korbrand und signalisierte, dass die Männer ihn herunterziehen sollten. Während
der von den Windböen gebeutelte Ballon im Schneckentempo sank, setzte André sein Fernrohr an.
Sie stand noch da. Seit Stunden, kurz nachdem er heute Morgen den Ballon bestiegen hatte, stand die Frauengestalt auf dem
Fort und sah in seine Richtung. Warum? Wollte sie ihn verunsichern? Ihre Reue zeigen? Einen Beweis für ihre Liebe abliefern?
Ruckartig veränderte er den Blickwinkel. Diese Frau war Gift für ihn. Sie hatte sein Leben zerstört. Und es gelang ihr noch
immer, ihn in Schwierigkeiten zu bringen.
Die Folgen ihres letzten Treffens würde er schon bald zu |522| spüren bekommen. Er ahnte, dass Croutignac den Vorfall bei den Menhiren von Ménec nicht auf sich beruhen lassen würde. André
hatte mit dem Schlimmsten gerechnet und war überrascht gewesen, als ihm erlaubt wurde, seinem ganz normalen Dienst nachzugehen.
Gewiss hatte Croutignac Hoche über Andrés Verfehlungen bis ins kleinste Detail unterrichtet. Wie kam es dann, dass der General
ihn nicht verhaften ließ? Egal. Seit Wochen war André ein Spielball der Ereignisse und der Willkür Fremder unterworfen. Worte
wie Sicherheit und Planung schienen für ihn nicht mehr zu existieren, man hatte ihn zu einem Vagabunden gemacht. Doch solange
er sich selbst und seinem Geist vertrauen konnte, würde er irgendwie damit zurechtkommen.
Er ließ den Sucher seines Fernrohrs über die glitzernde, schäumende Fläche des Meeres gleiten. Die unruhige Bewegung seines
Korbes erschwerte die Fokussierung. Dennoch gewahrte er einen tanzenden Punkt am
Weitere Kostenlose Bücher