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Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Titel: Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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angelandeten Riesenfisch zeigte. Im Vergleich zu ihm waren die Fischer, die ihn mit Leitern und Messern umgaben, winzig. Aus seinem Maul quollen mindestens ein Dutzend kleinerer Fische. Wo ein Fischer dem Leviathan den Bauch aufgeschlitzt hatte, war ein weiterer Schwarm kleiner Fische herausgefallen.
    »Faszinierend, nicht wahr?« Paul Bancrofts Stimme. Andrea hatte die Zeichnung so konzentriert betrachtet, dass sie ihn nicht hereinkommen gehört hatte.
    »Vom wem ist sie?«, fragte Andrea, als sie sich nach ihm umdrehte.
    »Das ist eine Federzeichnung von Pieter Brueghel dem Älteren aus dem Jahr 1556. Er hat sie Großer Fisch frisst kleinen Fisch genannt. Brueghel war kein Mann für dekorative Belanglosigkeiten. Diese Zeichnung hat früher in der Graphischen Sammlung Albertina in Wien gehangen. Aber wie du habe ich mich sofort zu ihr hingezogen gefühlt.«
    »Und du hast sie im Ganzen geschluckt.«
    Paul Bancroft lachte wieder: herzhaft, mit dem gesamten Körper. »Du hast hoffentlich nichts dagegen, wenn wir verhältnismäßig früh essen«, sagte er. »Der Junge ist noch in einem Alter, in dem man zu einer bestimmten Zeit ins Bett gehört.«
    Andrea spürte, dass ihr Gastgeber unbedingt wollte, dass sie seinen Sohn kennenlernte, aber deswegen auch etwas besorgt war. Das erinnerte sie an eine Freundin, die ein Kind mit dem Down-Syndrom hatte – ein sanftes, sonniges, lächelndes Kind, das von seiner Mutter mit Liebe und Stolz betrachtet wurde – aber auf einer unbewussten dunklen Ebene auch mit gewissem Schamgefühl … mit einer Scham, die ihrerseits Schamgefühle auslöste.
    »Brandon, nicht wahr?«
    »Brandon, ja. Der Liebling seines Vaters. Er ist … nun, etwas Besonderes, könnte man sagen. Ein bisschen ungewöhnlich. Auf gute Weise, bilde ich mir gern ein. Wahrscheinlich sitzt er oben am Computer und chattet mit unpassenden Leuten.«
    Paul Bancroft, der ebenfalls ein kleines Sherryglas in der Hand hielt, hatte seine Tweedjacke abgelegt, aber die Weste mit Hahnentrittmuster ließ ihn unverändert professorenhaft wirken. »Willkommen«, sagte er und hob zur Begrüßung sein Glas. Die beiden nahmen in englischen Ledersesseln vor dem Kamin Platz, in dem an diesem Abend kein Feuer brannte. Die Wandtäfelung aus Nussbaumholz, die abgetretenen alten Orientteppiche, der schlichte, im Lauf der Jahre dunkel gewordene Hartholzboden: Alles wirkte zeitlos, friedlich, wie eine Art Luxus, die ohne großen Luxus auskam.
    »Andrea Bancroft«, sagte er, als koste er die Silben einzeln aus. »Ich habe unterdessen ein paar Auskünfte über dich eingeholt. Graduiertenstudium der Wirtschaftsgeschichte, habe ich recht?«
    »Zwei Jahre lang in Yale. Zweieinhalb. Meine Dissertation ist nie fertig geworden.« Der Fino war blass strohgelb. Ein kleiner Schluck erfüllte ihren Mund, ihre Nase mit seinem Geschmack.
Er duftete zart nach Karamell, schmeckte köstlich nach Nüssen und Melonen.
    »Kein Wunder, wenn man an deine geistige Unabhängigkeit denkt. Aber das ist keine Eigenschaft, die hier geschätzt wird. Zu viel Unabhängigkeit erzeugt Unbehagen, vor allem bei Möchtegern-Gurus, die selbst nicht ganz glauben, was sie sagen.«
    »Vermutlich könnte ich behaupten, mir sei es darum gegangen, mehr in der realen Welt verankert zu sein. Aber die beschämende Wahrheit ist, dass ich mein Studium abgebrochen habe, weil ich mehr Geld verdienen wollte.« Sie verstummte, weil sie darüber erschrocken war, dass sie das tatsächlich laut ausgesprochen hatte. Klasse gemacht, Andrea. Jetzt erzähl ihm noch, dass du am Wochenende zwei Stunden weit gefahren bist, um zu einem Ausverkauf in einem Factory-Outlet zu kommen.
    »Ah, aber unsere Mittel prägen unsere Vorlieben«, meinte Bancroft leichthin. »Du siehst die Dinge nicht nur klar, sondern bist auch ehrlich. Zwei Eigenschaften, die nicht immer gemeinsam auftreten.« Er sah kurz zu Boden. »Vermutlich wäre es unloyal, wenn ich meinen verstorbenen Cousin Reynold scharf kritisieren würde. Andererseits hat der Utilitarist William Godwin Ende des 18. Jahrhunderte geschrieben: ›Welcher Zauber wohnt dem Pronomen »mein« inne, dass es Entscheidungen von ewiger Wahrheit umstoßen kann?‹ Auch von den Lebensumständen, in denen deine Mutter zurückgelassen wurde, habe ich erst in letzter Zeit mit größtem Bedauern erfahren. Jedoch …« Er schüttelte den Kopf. »Ein Thema für eine andere Gelegenheit.«
    »Danke«, sagte Andrea, die sich plötzlich verlegen fühlte und gern das Thema

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