Die Bedrohung
und entschuldigte sich jedes Mal für das, was die Männer getan hatten. Kennedy reagierte kaum auf seine Worte; sie starrte einfach nur ins Leere.
Irgendwann wurde ein Sessel hereingetragen, und der Mann half ihr auf, damit sie sich setzen konnte. Es war ihr längst egal, dass sie unter der Decke nackt war. Der Mann versuchte die Decke oben zu halten, während er mit dem Wasser aus dem Eimer ihr Haar vom Urin reinigte. Dann befeuchtete er einen Waschlappen und wusch ihr das Gesicht.
Als er zu ihren Schultern kam, hielt er inne und drückte ihr den Waschlappen in die Hand. »Ich bringe Ihnen etwas zum Anziehen. Bitte machen Sie sich inzwischen sauber. Wir müssen über Ihre Freilassung reden.«
Kennedy blinzelte zum ersten Mal seit einigen Minuten. Ihr Kopf drehte sich langsam, und sie sah dem Mann nach, als er hinausging. Die Tür ging hinter ihm zu, und ihr war bewusst, dass sie allein war. Sie sah auf den weißen Waschlappen hinunter und hatte das seltsame Gefühl, dass sie geträumt haben musste. Ihre Augen wanderten langsam über ihre Arme, und sie sah die Kratzer und blauen Flecken. Sie nahm das feuchte Stück Stoff und fuhr damit über die Innenseite ihres linken Unterarms. Blut und Schmutz lösten sich von der Haut. Sie biss sich auf die Zunge, um sich zu vergewissern, dass das alles wirklich passierte, und als sie den Schmerz spürte, war ihr klar, dass sie nicht träumte. Kennedy stand auf, legte die Decke über den Stuhlrücken und begann sich zu waschen. Sie übergoss sich immer wieder mit etwas Wasser, bis sie sich von all dem Blut, dem Schmutz und Gestank befreit hatte. Gut fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Kennedy nahm die Decke und hielt sie vor sich.
Muhammad trat ein, ein Handtuch, einen Stapel ordentlich gefalteter Kleider und ein Paar Sandalen in den Händen haltend. Er legte alles auf den Sessel. »Bitte, ziehen Sie das an«, sagte er. »Wir haben viel zu besprechen.«
Er ging wieder hinaus, und Kennedy zog sich an. Die Kleider waren etwas zu groß, doch sie war trotzdem dankbar dafür. Sie schlüpfte in die blaue Hose, den braunen Pullover und die Sandalen und legte auch den schwarzen Hijab an. Es klopfte erneut an der Tür, dann trat Muhammad mit einer Videokamera und einem Stativ ein. Kennedy wurde sofort misstrauisch.
»Ich muss mich für das Benehmen dieser beiden Rohlinge entschuldigen. Sie wissen einfach nicht, was sich gehört.«
Kennedy nickte nur.
Der Mann stellte die Kamera hin. »Passen die Kleider?«, fragte er.
»Ja«, antwortete sie und griff sich an den Hijab.
»Gut. Also, ich habe mit vielen Leuten über Ihre Freilassung gesprochen, und ich denke, wir sind zu einer Übereinkunft gekommen. Die Männer, die Sie entführt haben … Ich kann Ihnen nicht sagen, wer sie sind, aber es sind ziemlich üble Kerle. Mehr als die Hälfte von ihnen wollen Sie töten, für das, was Sie ihrem Land angetan haben. Es gibt aber auch einige darunter, die das unklug finden. Von diesen wiederum wollen einige Sie foltern und die Informationen an den Meistbietenden verkaufen, die anderen wollen einfach nur Lösegeld für Sie kassieren. Ich glaube, ich habe sie überzeugt, Sie für Lösegeld freizugeben, aber vorher verlangen sie, dass Sie eine Erklärung abgeben.«
»Was für eine Erklärung?«, fragte Kennedy argwöhnisch.
»Ich möchte Sie daran erinnern, dass es nur Worte sind. Sobald Sie frei sind, können Sie ohnehin sagen, was Sie wollen.« Der Mann gab ihr ein Blatt Papier und machte sich dann an der Videokamera zu schaffen. »Bitte, lächeln Sie ein bisschen«, sagte er und drückte die Aufnahmetaste.
Kennedy sah auf den getippten Text und begann zu lesen. Ihre Bestürzung wurde mit jedem Satz größer. Eine halbe Minute später war sie fertig. Sie gab dem Mann das Blatt zurück. »Ich kann das nicht lesen«, sagte sie.
»Doch, Sie können.« Der Mann drückte ihr das Papier in die Hand. »Sie brauchen das bloß vorzulesen, dann bringe ich Sie hinaus in die Freiheit.«
»Das sind alles Lügen. Mein Land hat nichts mit der Zerstörung der Atomanlage in Isfahan zu tun. Wir sind nicht wegen des Öls im Irak einmarschiert, und wir haben auch nicht vor, den Iran anzugreifen, um ihr Öl zu stehlen.«
»Ich widerspreche Ihnen ja nicht«, beteuerte der Mann. »Und wenn Sie erst frei sind, können Sie der ganzen Welt sagen, dass man Sie mit vorgehaltener Pistole gezwungen hat, diese Erklärung abzugeben.«
Kennedy wusste, dass sich so etwas nicht so einfach zurücknehmen
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